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Standup-Comedy: Der Gag alles Fleischlichen

Darf man über Schwangere Witze machen? Die schwangeren Amy Schumer und Ali Wong tun es.


Erschienen am 21. April 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung


Es gibt eine Szene in „The Marvellous Mrs. Maisel“, einer Serie über eine Komikerin im New

York der fünfziger Jahre, da betritt die Titelheldin selbstsicher die Bühne eines Clubs in Mid-Town-Manhattan, um zu improvisieren. Sie hat gerade ihrer Freundin bei der Geburt des zweiten Kindes beigestanden, und so fängt Midget Maisel an, über die Absurdität der weibli-

chen Anatomie zu fabulieren: Warum, bitte, entwarf Gott die Vagina als kleines Handtäschchen? Wenn sie doch ab einem gewissen Punkt eine Bowlingkugel tragen solle?


Noch bevor Midget Maisel ihren Witz aber ganz erzählen kann, zerrt der Clubbesitzer sie schon von der Bühne: Witze über Schwangerschaft und Geburt? Darüber wolle nun wirklich niemand etwas hören, schon gar nicht mit bildlichen Details! Und was gebe es da

überhaupt zu lachen?


„The Marvellous Mrs. Maisel“, geschrieben für Amazon von Amy Sherman-Palladino (die auch die „Gilmore Girls“ erfunden hat), geht diese Fragen ganz direkt an, immer wieder: Was ist das eigentlich, „weiblicher“ Humor? Und was „darf“ dieser? Amy Schumer, in den Vereinigten Staaten inzwischen ein Superstar unter den Komödiantinnen, gibt darauf in ihrem neuen Netflix-Special „Growing“ eine klare Antwort: Auf jeden Fall derbe Witze über Schwangerschaft machen!


Ob es um Alkohol- und Sexgelüste oder ständiges Erbrechen (Schumer leidet an Hypermemis gravidarum) bis zum Krankenhausaufenthalt geht, um schlechte Ratschläge von zweifelhaften Freunden oder Körperdeformationen: Schu-mer lässt alles anbrennen. Der weibliche Körper – ihr weiblicher Körper – mit all seinen Eigenschaften steht im Mittel-

punkt des einstündigen Bühnenprogramms. Die erste Begegnung mit dem „Busch“ ihrer Mutter mimt Schumer als Dschungelexpedition – und macht den Millennials im Publikum damit klar, dass sie gar nicht erst von ihnen erwartet, zu wissen, was das sei: Schambehaarung. Dann wieder fragt sich Schumer, wie es wohl aussehen würde, wenn Frauen mit ihrer Menstruation ähnlich explizit umgehen würden wie Männer mit ihrem

Penis (wenn sie diese, Stichwort „Dick Pics“, etwa fotografieren).


Wegen solcher Zoten – die Schumer unverhohlen abliefert – bescheinigt der britische

„Guardian“ ihr, noch immer der „Daddy of Carnal Standup“ zu sein: der Vater

des fleischlichen Humors. Ein Humor, der sich auf die körperlichen oder sexuellen, immer aber privaten Erlebnisse derjenigen verlässt, die darüber lachen sollen und die in erster Linie

eines wollen: einmal ungeniert über ihre eigene moralische Fehlbarkeit lachen. Bis-

lang scheint dieser Humor tatsächlich eher „Daddys“ als „Mommys“ gehabt zu

haben, seit Beginn ihrer Karriere hat sich Schumer nämlich in eine bestimmte Tra-

dition männlicher Comedians eingereiht:


Ob Richard Pryor, Bill Hicks, Dave Chappelle, George Carlin oder Ricky Gervais, sie alle spielen als Stand-up-Comedians mit dem, was zwar viele erleben, aber nie aussprechen würden. Einer der Wegbereiter dieser Tradition – und des modernen Stand-ups überhaupt – taucht auch immer wieder in „The Marvellous Mrs. Maisel“ auf: Lenny Bruce. Der machte sich damit einen Namen, „obszön“ zu sein, indem er das Publikum mit Tabuthemen zum Lachen brachte – in gar schüchterner Körpersprache, aber dafür mit umso schockierende-

ren Ausdrücken, jedenfalls für die damalige Zeit. Ein zweischneidiges Schwert, das da geschmiedet wurde: Damals zerschlug es, im Sinne der Redefreiheit, viele Konventionen. Bis heute aber wirkt das darin eingefaltete männliche Anrecht auf eine derbe Ausdrucksweise und die eigene Lüsternheit nach.


Ein zeitgenössischer und problematischer „Daddy“ dieses Humors ist Louis C. K., der auf der Bühne körperliche Erlebnisse (sexueller und nicht-sexueller Art) in kleine, detaillierte Erzählungen verpackte – und sich moralisch aus der Affäre zog, indem er seine eigene Jäm-

merlichkeit zur Sprache brachte. Im Jahr 2017 warfen dann mehrere Komikerinnen

Louis C. K. sexuelles Fehlverhalten vor, welches er auch teilweise zugab; was Programme wie „Shameless“ (von 2006) heute in einem anderen Licht erscheinen lassen.


Amy Schumer schlägt in ihren Standup-Programmen die gleiche Tonalität an, dreht die Vorzeichen dabei relativ simpel um: Um sich ein moralisches Schlupfloch zu eröffnen, spielt sie darauf an, dass sie ja so oder so nicht dem Idealbild einer Frau entspräche. Als quasi ver-lorener Posten der Femininität müsse sie sich ja dann auch nicht mehr genieren.


Von diesem verlorenen Posten aus erlaubte sie sich zu Beginn ihrer Karriere dann ebenso nonchalant wie einige ihrer männlichen Kollegen rassistische und sexistische Pointen – und fuhr dafür in den Vereinigten Staaten viel Kritik ein, aber eben auch einen Riesenerfolg.

Schumer ist aber keinesfalls die Erste, die Schwangerschaft im wahrsten Sinne auf die Bühne bringt: Die Amerikanerin Ali Wong hat gleich zwei Programme hochschwanger absolviert, mit derbsten Witzen. In „Baby Cobra“ (Netflix, 2016) spricht Wong jedoch mehr darüber, was auf dem Weg zur Schwangerschaft passiert – und bringt ihr Publikum einmal sogar dazu, über eine Fehlgeburt zu lachen: „Ich erfuhr es bei meinem Ultra-

schall in der sechsten Woche. Die Ärztin sagte: ,Mein Gott, ich sehe zwei Frucht-

blasen. Sie bekommen Zwillinge!‘ Und ich: O bitte, nein! ,Allerdings erkenne

ich keinen Herzschlag.‘ Und ich: Gott sei dank! Seine Wege sind unergründ-

lich.“


Zwei Jahre später – und schwanger mit dem zweiten Kind – wird Ali Wong in „Hard Knock Wife“ dann politischer: Wenn sie en detail beschreibt, wie es einer jungen Mutter ergeht – und den fehlenden gesetzlichen Elternschutz in den Vereinigten Staaten anprangert. An die-ser (amerikanischen) Welt zu verzweifeln, in die ein Kind hineingeboren wird, nehmen auch das Comedy-Ehepaar Natasha Leggero und ihr Mann Moshe Kasher in ihrem „Honeymoon Stand Up Special“ (2018) zum Anlass: „Schauen wir mal, wie das hier läuft, dann überlege ich mir, ob ich das Kind behalte. Gibt’s eigentlich eine Pille für den hundertzehn-

ten Morgen danach?“


So problematisch manche der Witze sind, die Amy Schumer früher gemacht hat: Der transgressive Humor ihres aktuellen Bühnenprogramms funktioniert erstaunlich gut. Denn ihre Schwangerschaft gibt einiges her: unangenehm, was den Körper angeht – und auch die zwischenmenschlichen Erlebnisse eines schwangeren Paares. „Growing“ beweist, dass Schwangerschaft und diese Art Humor sogar ziemlich gut zusammen passen, mehr noch, dass diese Allianz als eine eigentlich logische Konsequenz erscheint: Denn aus fleischlichem Trieb entsteht ab und an ja auch mal ein Kind.


Darüber hinaus zeigt Amy Schumer in ihrer neuen Show aber auch, dass es einen „weiblichen“ Humor so nicht gibt. Denn Humor, so Mark Twain, ist eine Art zu Erzählen – beschäftigt sich also in erster Linie mit der Form und dann erst mit dem Inhalt. Und die stilistischen Mittel, derer sich Schumer bedient, lassen sich nicht Geschlechtern zuordnen – weder sind sie weiblich noch männlich. Deswegen überrascht Schumers Programm auch nicht, denn ihre Witze funktionieren nach den gleichen Mustern wie die eines Louis C. K. Wohl aber wird in „Growing“ deutlich, wie diese Comedy-Sparte bislang von einer männlichen Perspektive vereinnahmt worden ist, obwohl sie gar nicht auf diese Perspektive angewiesen ist. Und dass es möglich ist, als Frau eine eigene Stimme zu finden, die diese Form füllt, ohne Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Mit dieser Erkenntnis scheint Amy Schumers Humor tatsächlich gewachsen zu sein.


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