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Debatte: Hollywood entlässt seine Kinder

In der Unterhaltungsbranche herrschte schon immer eine Vetternwirtschaft. Warum stehen privilegierte Nachfahren neuerdings in der Kritik?


Erschienen am 09.01.2023 in der Frankfurt Allgemeinen Zeitung.


Gerade ist Jane Fonda 85 Jahre alt geworden. Die Schauspielerin kann auf eine erfolgreiche Karriere, auf ein engagiertes Leben zu­rückblicken. Aber wie genau wurde sie eigentlich be­rühmt? Durch ihre Rolle als quirlige Corie im Film „Barfuß im Park“? Oder als sexy Astronautin in „Barbarella“? Oder als Prostituierte in „Klute“, wofür sie ihren ersten Oscar erhielt? In einem Interview gab sie einmal selbst die Antwort: „Ich war die Tochter von Henry Fonda!“


Damit ist sie, wie das Internet feststellte, ein „Nepo Baby“ – ein Kind des Nepotismus, der Vetternwirtschaft Hollywoods. Als Tochter eines solchen Charakterdarstellers stehe dem Vorhaben, selbst eine große Schauspielerin zu werden, wenig im Weg: Aussehen, Geld, Kontakte – alles werde einem dann in die Wiege gelegt.


Dynastien in der Unterhaltungsbranche sind nichts Neues. Einige sind aufgrund ihres Namens (Jamie Lee Curtis, Sofia Coppola), andere aufgrund einer auffäl­ligen Ähnlichkeit (Angelina Jolie) schon lange als Töchter berühmter Väter (Tony Curtis, Francis Ford Coppola, Jon Voight) bekannt. Warum also beschäftigten die „Nepo Babies“, wie sie auf Twitter und Tiktok getauft wurden, das Internet zuletzt so sehr wie nie zuvor?


Die Frage nach den Verwandtschafts­verhältnissen in Hollywood kam in den vergangenen Jahren immer wieder auf. Zu Beginn der Pandemie zeigten sich gewisse Stars mit ihren Kindern in Quarantäne. Mit jedem weiteren Selfie aus einem weiteren Strandhaus wurde deutlicher, wer zu wem gehört (und wie unbeschadet diese Familien diese Zeit überstehen würden). Als das Arbeiten dann wieder möglich war, wurden Projekte angekündigt, deren Schlagzeilen sich von selbst verkauften: „Penn übernimmt Hauptrolle in Spielbergs und Kings neuem Kurzfilm“. Aber nicht Sean, Steven und Stephen – sondern Hopper, Destry und Owen, die Kinder des Schauspielers, des Regisseurs und des Autors.


Im vergangenen Frühjahr stellte eine Twitter-Nutzerin fest, dass eine, wie sie befand, mittelmäßig begabte Schauspielerin in ihrer liebsten Serie die Tochter eines erfolgreichen Regisseurs und einer bekannten Schauspielerin ist: „Moment mal, ich habe gerade herausgefunden, dass die Schauspielerin, die Lexi spielt, ein Nepo Baby ist, OMG“. Maude Apatow ist heute 25 und trat schon in jungen Jahren an der Seite ihrer Mutter Leslie Mann in den Filmen ihres Vaters Judd Apatow auf. Mit der Serie „Euphoria“ hatte sie nun erstmals Erfolg abseits der Familie. Nur stellt sich bei ihr die gleiche Frage wie bei Fonda: Wie hat sie die Rolle eigentlich bekommen?


Das löste einen Hashtag-Trend aus: Un­ter #Nepobaby lassen sich allein bei Tiktok mehr als 113 Millionen Einträge finden, eine Flut an Bildern und Namen schöner Menschen: Zoë Kravitz, Dakota Johnson, Kaia Gerber, Emma Roberts. Wer wären sie ohne den Rockmusiker Lenny Kravitz, den Schauspieler Don Johnson, das Model Cindy Crawford, den Hollywoodstar Julia Roberts? Leni Klum, Margaret Qualley, Maya Hawke: Was wären sie ohne Heidi Klum, Andi Mac­Dowell oder Uma Thurman? Die kurzen Clips verbreiten sich dabei wie Tratsch: Oh, ob man das denn schon wisse!


Weil die sozialen Medien Stars nicht nur vermeintlich nahbarer, sondern auch greifbarer machen, mussten sich die „Ne­po Babies“ jüngst zum Vorwurf der Vetternwirtschaft positionieren. Lily-Rose Depp (Tochter des Schauspielers Johnny Depp und der Sängerin Vanessa Paradis) verteidigte sich kürzlich im Magazin „Elle“: Das Internet interessiere sich viel mehr dafür, wer ihre Familie sei, als dafür, wer die Leute seien, die sie für eine Rolle casteten. „Vielleicht kriegt man einfacher einen Fuß in die Tür – aber dann hat man immer nur noch einen Fuß in der Tür. Danach beginnt die richtige Arbeit.“ Im Prinzip sei das wie bei anderen Familien: Wenn die Mutter Ärztin sei, werde man vielleicht selbst den Beruf ergreifen. Medizin müsse man trotzdem studieren.


Das ist ein altes Argument, das genauso häufig angebracht wie entkräftet wurde. Die Autorin Fran Lebowitz fasste es Ende der Neunzigerjahre so zusammen: „Das ist lächerlich. Den Fuß in die Tür zu bekommen ist so ziemlich das einzig Schwierige, vor allem beim Film.“ Die Schauspielerei sei schließlich nicht gerade für eine strenge Ausbildung bekannt. Man könnte an­fügen: beispielsweise im Vergleich zur Me­dizin. Wobei es natürlich auch Ärzte­dy­nastien gibt.


Solche Familien sind oft so alt wie die Branchen selbst, in denen sie erfolgreich sind. Auf den ersten Aufnahmen der Lu­mière-Brüder sind ihre eigenen Kinder zu sehen; das berühmte „Solax Kid“ der Stummfilm-Ära, Magda Foy, war die Tochter von Solax-Darstellern; Douglas Fairbanks Jr. bekam 1922 als Sohn der Schauspielerin Mary Pickford und des Filmemachers Douglas Sr. schon als Dreizehnjähriger einen Vertrag von Paramount vorgelegt. Die Kazans und die Barrymores – ihre Namen haben sich bis heute im Filmgeschäft durchgesetzt.

Wo es viel Geld und viel Macht gibt, su­chen die Familien beides bei sich zu halten. Nicht nur in der Unterhaltungsbranche: Auch die Unternehmerfamilien Wertheimer, von Baumbach, Quandt oder Rothschild suchen ihre Kinder in die gleichen Positionen zu bringen. Die Kritik an deren Nachgeborenen wird sich aber nicht unter #Nepobaby finden lassen: Denn die Kinder von Filmemachern und Models stehen im Vergleich zu anderen Reich­geborenen im Scheinwerferlicht. Anders ausgedrückt: Sie sind sichtbarer.


Und sie sind besonders gut zu vermarkten. Die Schauspielerin Jamie Lee Curtis sagte vor einigen Jahren in einem Interview, sie sei sich sicher, dass sie die Hauptrolle in dem Horrorfilm „Halloween“ nur bekommen habe, weil sich das gut bewerben ließ: „Angesichts der Tatsache, dass die Produzenten solche Fans von ,Psycho‘ waren, war das ein gutes Argument für mich, Janet Leighs Tochter, um die Rolle zu bekommen.“ Der Grund für ihre Besetzung: ein Augenzwinkern an Hitchcocks Klassiker, in dem Janet Leigh das Mordopfer Marion Crane verkörpert hatte. „Halloween“ verschaffte Jamie Lee Curtis den Durchbruch.

Durch die sozialen Plattformen hat sich der kommerzielle Wert der Kinder prominenter Eltern heute potenziert. Qua Ab­stammung können „Nepo Babies“ auch oh­ne Beruf oder Talent Millionen von Followern auf sich vereinen. Ein Geschäfts­modell, das die Kardashians wie keine an­dere Familie perfektioniert haben. Da reichte es allein, dass ihr Nachname vor zwei Jahrzehnten in Los Angeles bekannt war, um ihn weltweit zu vermarkten. Eine der Töchter, Kendall Jenner, ist heute ei­nes der am besten bezahlten Models.


Besonders in der Modebranche ist die Followerzahl mittlerweile entscheidend ge­worden. Bei Castings müssen Models schon lange ihre Instagram-Profile als potentielle Werbefläche abseits des Laufstegs vorlegen. Wer Reichweite hat, be­kommt den Zuschlag. Kendall Jenner be­hauptete, sie habe es gerade wegen ihrer Fa­milie, die ihr Leben in einer Reality-Sendung ausbreitet, anfangs schwerer ge­habt. Ihr Erfolg beweist jedoch: Selbst die Haute Couture scheute nicht vor ihrer Reichweite zurück. Auch ist es kein Zufall, dass Jenners am besten bezahlte Kolleginnen Bella und Gigi Hadid ihre besten Freundinnen sind: Sie verkehren in denselben Kreisen.

Problematisch ist das für andere Models allemal. Nicht unbedingt, weil Jenner oder die Hadids kein Talent mitbrächten (beim Aussehen wurde hier und da nachgeholfen); vielmehr bedeutet das Modeln für viele andere junge Frauen, sich einen ge­wissen Lebensstandard für ihre Familien aufzubauen – und nicht, ihn zu halten. Wer heute aber nicht nebenbei einen aufregenden Lifestyle vorweisen kann, hat es schwer, bis an die Spitze zu kommen.

„Ich hatte immer den Eindruck, ich müsste doppelt so hart arbeiten, um zu be­weisen, dass mir das nicht in die Wiege gelegt wurde“, verteidigte sich Lily-Rose Depp, die unter anderem für Chanel mo­delt, in der australischen „Vogue“. Nur: Woher soll sie wissen, was „normale“ Arbeit ist? Durch „Nepo Babies“ wird vielen schmerzhaft klar: Der amerikanische Traum, von dessen Versprechen die Unterhaltungsbranche so sehr profitiert, speist sich nicht aus der Realität. Es kommt letztlich weniger auf Talent und Fleiß an – sondern auf gute Verbindungen.


Allerdings kann sich das, was diesen Kindern in die Wiege gelegt wurde, auch als Bürde erweisen. Fairbanks Jr. beispielsweise hatte eine lange, aber nie so erfolgreiche Karriere wie sein Vater. Und wenn die eigene Mutter eine Pop-Ikone ist, ma­che es das auch nicht einfacher. Lourdes Léon, Tochter von Madonna, erklärte kürzlich im Magazin „The Cut“, dass sie „ein un­bestreitbares Privileg“ habe, dies aber nur ungern nutze, um heraus­zufinden, worin sie selbst glänzen könnte. „Ich möchte das Gefühl haben, dass ich etwas wirklich für mich verdient habe, und nicht, dass mir etwas gegeben wurde“, sagte sie. Nach et­was Regiearbeit und Modeln entschied sie sich nun jedoch auch für die Musik und ihr Privileg. Mit ihrer ersten kleinen EP als Lolahol landete sie direkt auf dem Cover des Magazins, dem sie das Interview gab.


Dass es solche und solche gibt, wird in den sozialen Medien genau unterschieden. Dakota Johnson etwa und Zoë Kravitz seien „gute Nepo Babies“, da sie ihr Schauspieltalent hinreichend bewiesen hätten. Ein „schlechtes Nepo Baby“ hingegen sei Brooklyn Beckham (Sohn von David und Victoria), der außergewöhnlich wenig Ta­lente seiner begabten Eltern geerbt zu ha­ben scheint. Er versuchte es als Fußballspieler, als Fotograf, Model und Koch – und scheiterte an allem. Im vergangenen April heiratete er eine Milliardärstochter, damit dürfte er ausgesorgt haben.


Bei aller berechtigten Kritik sprach Lily-Rose Depp jedoch eine Auffälligkeit an: „Ich höre diesen Vorwurf vor allem gegenüber Frauen, und ich halte das nicht für einen Zufall.“ Das stimmt: In den Videos auf Tiktok und auf zahlreichen Listen, die sich im Internet finden lassen, sind Männer seltener erfasst. Auch gab es zwar eine Debatte um Maude Apatow, nicht aber eine um Sam Levinson, der bei der Serie „Euphoria“ Regie führt und der Sohn des Oscargewinners Barry Levinson ist. In die Seilschaften hinter der Kamera lässt sich sicher schlechter blicken. Dass aber auch Schauspieler wie Jaden Smith, Scott Eastwood oder Jack Quaid der gleichen Profession wie ihre Väter nachgehen, scheint als eher selbstverständlich wahrgenommen zu werden: Der Erstgeborene erbt.


Doch weder der Name noch ein gewisses Aussehen oder Talent garantiert, dass „Ne­po Babies“ auch erfolgreich werden. Ihr größter Trumpf dürfte sein, dass sie von klein auf von ihren Eltern ein kulturelles Kapital an die Hand bekommen. Sicherlich ist Sofia Coppola eine talentierte Regisseurin; für ihre Filme dürfte es aber auch hilfreich gewesen sein, dass ihr Vater ihr schon als junges Mädchen die „Encyclopaedia of Poetics“ zu lesen gab und ihr erklärte, wo­rin sich Poesie und Filmsprache ähnelten. Als Jamie Lee Curtis gefragt wurde, wie sie die Schauspielerei erlernt habe, antwortete sie: „Nebenbei.“ Das kann man durchaus wörtlich nehmen: Sie spielte an­fangs ne­ben ihrem Vater Tony Curtis, wo­durch sie dann weitere Rollen erhielt. Hart gearbeitet habe sie nie wirklich, sagte Jamie Lee Curtis selbst – im Gegensatz zu ihren El­tern, die aus bescheidenen Verhältnissen stammten. Nicht alle „Nepo Ba­bies“ entstammen Dynastien.


Auch Jane Fonda nicht. Sie ist in zweiter Generation Schauspielerin geworden, bekannter als ihr Bruder Peter, heute vielleicht sogar als ihr Vater Henry. Auch im hohen Alter steht Jane Fonda immer wieder in den Schlagzeilen: „Zum fünften Mal bei Protesten verhaftet“. Kundgebungen für Klimaschutz, für Frauenrechte – für ihr gesellschaftliches Engagement war sie schon in den Siebzigerjahren berüchtigt. Damals setzte sie sich besonders lautstark gegen den Vietnamkrieg ein. Als Schauspielerin, die sich ihres Aussehens, Na­mens und Talents so sicher sein konnte, stand ihr nichts im Weg, sich auch mit an­derem als dem persönlichen Erfolg auseinanderzusetzen. Es ist dieses Engagement, für das sie bis heute berühmt ist.

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