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Angestellten-Power

Die Pandemie ist für die Arbeitswelt ein ungeplantes großes Experiment. Wie präsent sollen wir in Zukunft sein? Müssen oder wollen wir das Homeoffice je wieder verlassen?


Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 4. Juli 2021


Es ist Sommer, und das bedeutet: Viele müssen wieder zurück ins Büro. Die sogenannte Homeoffice-Regelung, die Arbeitgeber seit Januar nach Möglichkeit dazu verpflichtet hatte, ihre Mitarbeitenden von zu Hause arbeiten zu lassen, ist seit Juli aufgehoben. Mit dieser Verpflichtung waren viele deutsche Unternehmen dazu gezwungen worden, sich mit all den Konjunktiven, wie flexible Arbeitsweisen, Digitalisierung und neue Führungsmethoden aussehen könnten, auseinanderzusetzen – und sie in Imperative umzuwandeln.


Die Pandemie stellte sich dabei global als ungewolltes Experiment für die Arbeitswelt dar: eines, das nicht nur zeigt, was es auszubessern gelte oder was schlecht umzusetzen war. Sondern auch eines, dessen Ergebnisse nunmehr aus konkreten Erfahrungen bestehen (seien sie statistisch erfasst oder einfach individuell erlebt) und welche fortan als konkrete Blaupause dienen können. Welche Ergebnisse hat dieses Experiment nun also bisher erbracht?


Schon vor der Pandemie gab es viele Erkenntnisse darüber, was für eine moderne Arbeitswelt sinnvoll ist und was nicht. Tägliche Präsenz und Arbeitszeiten nach Stechuhr beispielsweise sind wenig sinnvoll: Ständige Kontrolle dämpft Selbstvertrauen, Leistung und Pflichtgefühl – und führt im Zweifel zu mehr Krankschreibungen. Wer wiederum nur von zu Hause aus und auf eigene Faust arbeitet, arbeitet nicht selten zu viel; wenn Arbeits- und Wohnraum ineinanderfließen, kann sich der Feierabend in Arbeitszeit auflösen.


Somit war auch schon vor der Pandemie klar, dass es eine Mischung ist, die für einige Berufe gut funktioniert. Nur wurde nicht auf solche Erkenntnisse vertraut. Ein Grund dafür ist, dass dies für ziemlich viele Berufe zutrifft: Laut dem Institut für Wirtschaftsforschung könnten beachtliche 40 Prozent der Arbeitsplätze auch zu Hause eingenommen werden. Tatsächlich wurden seit Januar etwa 36 Prozent dort eingenommen.


Der Umzug ins Private versprach zunächst einmal: weniger Pendeln, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Freizeit und Freiheit, von dort aus zu arbeiten, wo man es möchte. Während der Pandemie waren diese Vorteile jedoch sehr eingeschränkt: Wer außerhalb lebte, blieb auch dort; Kinder, die nun zu Hause lernten, mussten betreut werden, was in der Regel von denjenigen übernommen wurde, die ohnehin schlechter bezahlt werden (also wieder Frauen); gewonnene Zeit wurde für mehr Arbeit anstatt persönliche Interessen genutzt. Und die wenigsten konnten es sich leisten, sich in Strandhäuser zurückzuziehen. Gut, das waren die Zustände während der Lockdowns, in dem auch andere Teile des gesellschaftlichen Lebens gelähmt waren. Wie also sähe es aus, wenn die Pandemie einmal vollends vorüber ist?


Als einer der größten Vorteile des Von-zu-Hause-Arbeitens wurde derjenige für die Umwelt hervorgehoben: weniger Autos in der Innenstadt, weniger Flugreisen für Meetings. 1,6 Millionen Tonnen CO2-Emissionen würden sich so jeden Tag, den die Angestellten zu Hause arbeiten, mindestens einsparen lassen, errechnete das Berliner Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung.


Wenn ein Bahn-Pendler aber zu Hause bleibt, dann ist er auch nicht mehr auf die Zugführerin, den Schaffner oder einen Restaurantbesuch angewiesen. Und je weniger er oder sie ins Büro fährt, desto weniger braucht es ebenjenes. Dann muss es auch weniger in Schuss gehalten werden, Putzkräfte werden weniger gebraucht. Also diejenigen, die während der Pandemie in Kurzarbeit geschickt wurden oder ohnehin ihr Einkommen verloren, weil sie auf Minijobbasis angestellt waren. Was umweltfreundliche Zeitersparnis für die einen bedeutet, ruft die Frage nach besserer Bezahlung, Arbeitsschutz oder Umschulung für die anderen auf. Das steht bisher jedoch weniger zur Diskussion als die vielen „hybriden Arbeitsmodelle“.


Wenn der übermäßige Berufsverkehr schwindet, könnten die Büroräume und Verkaufsflächen dann anders genutzt werden? Wenn Arbeitsplätze von Mitarbeitern abwechselnd genutzt werden, wäre es möglich, wieder mehr Wohnraum in der Innenstadt zu schaffen. Bisher sind es vor allem die Arbeitgeber, die bestrebt sind, teure Flächen einzusparen. Prominente Weltkonzerne waren die ersten, die ihre Mieten zurückhalten wollten. Umfassende Bestrebungen zu städtischen Umstrukturierungen gibt es nicht. Eher ein Zurück zum Status quo.


Wichtiger aber: Arbeitnehmende wurden selten für ihre Arbeits-Wohnzimmer-Küchen kompensiert. Ergonomische Stühle und neue Computer sind von der Steuer absetzbar, doch die eingesparten Büromieten werden letztlich vom Arbeitnehmer übernommen, der seine eigenen Quadratmeter doppelt nutzen muss. Und damit auch meistens für Wasser-, Strom- und Reinigungskosten selbst aufkommt. Aufgrund der schwachen Wirtschaft können Arbeitgeber das zurzeit vielleicht noch rechtfertigen. Zukünftig müsste es dafür klare Regelungen geben.


Und selbst wer sich all dem entziehen kann und in eines der neuen sogenannten Digital-Nomaden-Dörfer nach Madeira zieht, um dort die örtliche Gastronomie zu stärken und in einem speziellen überdimensionierten „Co-Working Hub“ zu leben, der sollte wissen: Die Nomaden-Visa werden vor allem für Völker oberhalb des 40. Breitengrades vergeben. Und das mit der Datenspeicherung über Grenzen hinweg ist noch nicht so ganz geklärt.


Wer nicht selbständig ist, muss die Entscheidung, ob man von Köpenick oder Korsika aus arbeitet, aber bisher einem Vorgesetzten überlassen. Ein Recht auf Homeoffice gibt es bekanntlich noch nicht. Und hier zeigt sich einer der tiefgreifendsten Erfahrungen der Pandemie: Es gibt ein neues Bewusstsein, dass es nicht notwendig ist, präsent zu sein, um sehr gute Arbeit abzuliefern. Selbst die ungläubigsten Unternehmen können dies nicht mehr abstreiten.


Und das bedeutet eine Machtverschiebung zugunsten der Arbeitnehmenden: Sie können aufgrund des durch die Pandemie gewachsenen Vertrauensvorschusses mehr Flexibilität für sich einfordern. Und verlangen, dass Führungspersonen sich stärker mit ihrer individuellen Leistung beschäftigen und sich zugleich auch mehr auf ihre private Situation einstellen. Das wäre vor allem für Eltern, insbesondere Mütter, hilfreich, denen Karrierewege oft verschlossen bleiben, weil sie von den Arbeitgebern nicht angemessen unterstützt werden.


Diese neue Machtposition der Arbeitnehmenden wird nicht rückgängig zu machen sein. Mehr noch, sie wird die entscheidenden Dialoge innerhalb der Arbeitswelt – über Abläufe, Karriere, Familie, Freizeit – nachhaltig bestimmen. Und die Arbeitnehmenden selbst herausfordern, sich zu fragen, wie ihr Arbeitsalltag aussehen soll und wie sie ihn durchsetzen können. Die technologischen Mittel für Dialoge stehen bereit; Video- und Chat-Programme haben mittlerweile selbst in wenig tech-affine Firmen Eingang gefunden. Nur ist strittig, wie professionell bisher mit ihnen umgegangen wird.


Die dauerflimmernden Kanäle können den Vertrauensvorschuss auf die Probe stellen. Denn viele dieser Programme ähneln denjenigen, die außerhalb der Arbeit genutzt werden, und da vergreifen sich Ungeübte gern schon mal im Ton. Der Umgang damit im Arbeitsalltag muss oft noch erlernt werden. Im besten Fall aber stehen Kolleginnen dadurch in einem engeren Austausch. Erica Brescia, die Geschäftsführerin des Software-Entwicklungsprojekt-Diensts GitHub, erklärte gegenüber der BBC bereits letztes Jahr, dass es für die Arbeit nach der Pandemie auf eines ankäme: dass vor allem diejenigen in führenden Rollen lernten, schriftlich besser zu kommunizieren. Oder einfacher gesagt: gut zu schreiben. Eine manchen möglicherweise noch ungewohnte Qualitätsanforderung für künftige Chefetagen.


Bei alledem bleibt Präsenz wichtig. Sei es des analogen Flurfunks oder des runden Tischs wegen, an dem sich besser diskutieren lässt – oder weil es wahrscheinlicher wird, befördert zu werden. Getreu dem Motto: Solange die Vorgesetzte anwesend ist, werden es auch die Angestellten sein. Doch durch die Pandemie hat sich gezeigt: Gegenwärtig zu sein ist nie nur eine Frage von Raum und Zeit.

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