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Debatte: Jenseits des Gender*/_Gaps

Aktualisiert: 20. März 2020

Ist es wirklich so schwer, zu schreiben, ohne Menschen auszuschließen? Nein, sagt das Projekt „Genderleicht“. Wer gendert, sorgt im besten Fall auch für Vielfalt und Genauigkeit.


Erschienen am 28. Juli 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

und auf faz.net


Was ist gutes Schreiben? Und was ist schöne Sprache? Auf diese Fragen gibt es ungezählte Antworten, und die meisten laufen auf solche Eigenschaften hinaus: verständlich, pointiert, durchdacht, präzise, und dann erzählerisch, unterhaltsam, vielleicht humorvoll. All dies sind Adjektive, die einem nicht gerade in den Kopf schießen, wenn von gegenderter Sprache gesprochen wird – allein der Begriff „gendern“ ist ein so uneleganter Anglizismus, dass es nicht verwundert, wenn viele das nicht mögen. Das Thema ist aber da, lang genug wurde darum gekämpft, und die Diskussionen darüber, wer das letzte Wort hat, werden so schnell nicht verstummen.


Die zahlreichen Positionen, die sich im Diskurs über eine gerechtere Sprache finden lassen, ziehen zahlreiche Vorschläge nach sich, wie sich denn nun „gerecht“ schreiben lasse; dass die Qualität „gerecht“ dabei über der Qualität „schön“ steht – und zwar in jedem Kon-

text –, das steht für all jene, die das Gendern befürworten, außer Frage. Es ist natürlich ein Unterschied, ob in offiziellen Formularen gegendert wird oder in journalistischen Texten, und besonders deutlich wird das, wenn man noch einen Schritt weitergeht – und sich vorstellt, literarische Texte würden „gendergerecht“ verfasst werden. So könnte in Henry Fieldings „Tom Jones“ der erste Satz wie folgt lauten: „Ein*e Autor*in sollte sich nicht als eine*n Herr*in betrachten, die*r einen privaten oder mildtätigen Schmaus gibt, sondern vielmehr als eine*n, die*r eine öffentliche Garküche unterhält, in der alle Menschen um ihres Geldes willen willkommen sind.“


Gerechter mag das sein, aber Stern und Gap machen die Prosa kaputt. Andererseits wird eben gerade an diesem Satz, den Fielding Mitte des 18. Jahrhunderts verfasste, deutlich, dass hier in jedem Fall nur männliche Autoren gemeint waren (auch wenn die Meta-

pher eines spendablen Herrn, der zum Diner lädt, auch auf andere Geschlechter übertragbar wäre) und dass er sich trotz seiner Allgemeingültigkeit doch irgendwie nur an solche richtet. Die Liste „verhunzter“, weil gegenderter Wörter ist lang, und gern werden gerade solche Begriffe angeführt, in denen Nomen zusammengesetzt wurden („BürgerInnenmeisterInnen“, „Anwält_innenkanzleimitarbeiter_innen“), an denen dann vor allem deutlich wird, wie unschön es ist, unnötig lange (bürokratische) Begriffe weiter unnötig zu verlängern.


Ist das irreguläre Verwenden von Interpunktionen aber gänzlich zu verwerfen, wenn jemand „schön“ schreiben möchte? Mal abgesehen davon, dass uns unelegante Abkürzungen wie „etc.“ oder „z. B.“, Fußnoten und Sternchen, die auf Kleingedrucktes hinweisen, nicht im selben Maß zu stören scheinen – wer gerne Sternchen, Gendergap

oder Binnen-I verwendet, bezweckt damit, bei den Lesenden je nach politischer Gesinnung eine positive oder negative Reaktion aufzurufen, die beide durch den gleichen Reiz ausgelöst werden: ein Stolpern im Lesefluss. Dieses Stolpern ist unschön, und es nervt, aber

es hält einen auch dazu an, sich umzublicken, zumindest für den Moment. Neu pflastern, neu begehen, naheliegende Metaphern einer gegenderten Sprache. Dieser Ansatz mag utopisch erscheinen. Hierfür müssten ja nicht mal neue Begriffe erfunden werden, denn es geht schließlich – wie sowohl von der gegnerischen als auch der befürwortenden Seite so oft beschworen – um das Mitdenken.


So ein Mitdenken könnte durch das ständige Stolpern erreicht werden. Es würde sich aber, sobald es seinen Zweck erfüllt, selbst auflösen, worauf sich wieder die Frage eröffnet, ob das nicht auch ohne Umweg ginge. Nun ist das Gendern in Formularen und Pässen sprachlich anders zu bewerten als in journalistischen, belletristischen oder auch wissenschaftlichen Texten; aber gerade hier wird sichtbar, worum es beim Gendern im Grunde geht: etwas – jemanden – zu registrieren. Und wenn man die Bedeutung dieses

Verbs ernst nimmt, dann sind das Häkchensetzen und das schöne literarische Schreiben gar nicht so weit voneinander entfernt; wer gut schreibt, ist eine Person, die gut beobachtet, die sieht, eben registriert, und in der Lage ist, das Erkannte treffend wiederzugeben. Gera-

de im Journalismus ist diese Fähigkeit nicht nur ein wünschenswertes Talent, sie kann auch inklusiv wirken.


Das vom Journalistinnenbund kürzlich lancierte Projekt „Genderleicht.de“ hält eine gendergerechte Sprache deshalb für einen journalistischen Anspruch, der letztendlich Teil des Pressekodex ist: Wer journalistisch arbeitet, soll dies wahrheitsgetreu tun, nicht dis-

kriminierend sein. Das schließt ein, präzise zu formulieren: Wer konsequent von Politikern und Krankenschwestern spricht oder stets das generische Maskulinum verwendet, der bildet nun einmal nicht die Gegenwart ab, in der Politikerinnen und Pflegekräfte das Bild unserer Gesellschaft mitbestimmen und in der die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung sich theoretisch nicht im gleichen Maße angesprochen sieht. Mehr als dreißig Jahre linguistische Forschung legen nahe, dass im generischen Maskulinum nicht alle mitbedacht werden. Und dass sich nicht alle mitgemeint fühlen, die sich doch immer mit-

gemeint fühlen sollen.


Um also diesem Anspruch gerecht zu werden, will „Genderleicht.de“ Medienschaffende unterstützen: Das vom Bundesfamilienministerium geförderte Projekt beschäftigt sich mit gegenderter Sprache in Text, Bild, Video und Audio. Im Moment geht es vor allem ums Schreiben, aber auch die anderen Bereiche sollen in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden. In der Vorbereitung des Projekts wurde der aktuelle Zustand der deutschen Medienlandschaft erfasst und eine Datenbank mit Beispielen von Themen, Bildern, Texten aufgebaut, bei denen hinsichtlich Inklusivität etwas falsch gelaufen ist. Was deutlich wurde, ist, dass entweder nicht darüber nachgedacht wurde, ob ein Sachverhalt korrekt abgebildet wurde („Kopftuchverbot für Lehrer“), oder dass gegendert wurde, wo gar nicht zu gendern war („Ministerinnen und Minister“, obwohl nur Letztere anwesend waren). „Es macht weder Sinn, im Jahr 2019 auf dem generischen Maskulinum zu bestehen, noch auf Texte einfach eine Gender-Schablone aufzuziehen. Zu gendern ist ein Lernprozess, mit dem sich Redaktionen täglich beschäftigen müssen“, so Rebecca Beerheide, Initiatorin des Projekts und ehemalige Vorsitzende des Journalistinnenbunds.


Deshalb bündelt „Genderleicht.de“ nicht nur Leitfäden und Studien, die von Sendern, Verwaltungen oder Universitäten erstellt wurden, sondern stellt ein eigenes „Textlabor“ zur Verfügung: Hier können Schreibende Formulierungen einreichen, mit denen sie hadern. Es werden einem dann verschiedene Vorschläge gemacht, die alle ausführlich erläutert werden, auch um zu zeigen, was für Spielräume es gibt: „Wir wollen explizit nicht den Chefredaktionen in Deutschland vorschreiben, dass sie ab sofort anfangen müssen, zu gendern. Unser Projekt soll Kolleginnen und Kollegen bei der Textarbeit unterstützen. Redaktionen können auf Grundlage dessen dann ihre eigenen Handhabungen entwickeln“, erläutert Beerheide. Damit sich in der deutschen Medienlandschaft strukturell eine inklusive Sprache durchsetze, müsse sich, so Beerheide, vor allem von der Fixierung auf Blüten von gegenderter Sprache gelöst werden: „Auch die Bild- und, allgemeiner, die Themenauswahl müssen sich verändern. Im Endeffekt fängt Gendersensibilität nicht dann an, wenn ich etwas ,gendergerecht‘ aufschreibe, sondern wenn ich mich frage: Wie erzähle ich meine Geschichte? Wem erzähle ich sie und warum? Das sind letztendlich grundsätzliche Fragen des Qualitätsjournalismus.“


Und was wäre für die Initiatorin eine erstrebenswerte, gegenderte Sprache? „Sprache ist für mich dann schön, wenn im Augenblick des Lesens gar nicht auffällt, dass gegendert wurde. Aber das hat natürlich viel mit Gewohnheiten zu tun. Mir fällt es beispielsweise mittlerweile negativ auf, wenn sich in einem Text offensichtlich nicht um eine neutrale Schreibweise bemüht wurde. Dabei fällt es mir selbst oft schwer, mich in der gesprochenen Sprache so auszudrücken.“ Gerade im Sprechen zeige sich, wie sehr alte Sprachgewohnheiten nachwirken, selbst für diejenigen, die diese aktiv vermeiden wollen: Aus „Bürgerinnen und Bürger“ wird im schnellen Sprechen oft „Bürger und Bürger“, mit Lücke sprechen wirkt oft affektiert und verlangt etwas Übung, und Sätze sind oft schon halb formuliert, bis sich herausstellt, dass sie nicht neutral konstruiert sind. Im Schreiben gestaltet sich dies einfacher. Dass das Gendern auf eine inklusive und gleichzeitig präzise Sprache abzielt, ist sein größtes Potential – und sein größtes Problem: Texte voll von zerteilten und mit Interpunktionen garnierten Wörtern mögen sich nicht gut lesen lassen, vor allem aber können auch sie letztendlich nicht alle abbilden. Und hier verdichten sich die Standpunkte innerhalb der befürwortenden Gruppen, denn während die einen sich über eine „simple“ Handhabung freuen, wenn sie Begriffe nun einfach nur entsprechend anpassen müssen, zielen andere darauf ab, den Diskurs nicht durch dogmatische Lösungen zu ersetzen.


Zweifelsohne machen die Eigenarten der deutschen Sprache die Dinge nicht einfacher: die drei Genera etwa oder die komplizierten Regeln der Movierung (also der Ableitung weiblicher Bezeichnungen aus männlichen Formen), welche ja nicht weniger irrsinnig sind als die Vorschläge für eine gerechte Sprache (Warum heißt es nicht die Maschinenbäuerin? Warum gibt es keinen Hebammer?). Gleichzeitig ist das Deutsche aber auch eine besonders flexible Sprache, die es durch Partizipien, Relativsätze, Komposita, Substantivierungen und einen enormen Wortschatz ermöglicht, sich vielfältig auszudrücken – vielfältiger als es das geschlechtsneutralere Englisch kann. So könnte gerade das Gendern dazu anhalten, in Fieldings’ Garküche, in der alle Schreibenden um ihres Bemühens willen willkommen sind, eine schöne Sprache zu entwickeln.

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