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Porträt über Faber: Dumm, aber immerhin jung

Aktualisiert: 20. März 2020

Der Schweizer Sänger Faber leiht seine Stimme gern unmoralischen Personen. Ein Gespräch über empathischen Zynismus, ungeschönten Pop und seine Generation.


Erschienen am 29. Dezember in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung


Nächstes Jahr wird Julian Pollina erwachsen. Das hat er sich zumindest vorgenommen. „Im Sommer dann, das wird super.“ Wie das aussehen wird? „Sachen rechtzeitig abgeben.“ Verantwortungsvoll. „Sachbücher lesen.“ Über was zum Beispiel? „Wandern! Dafür kaufe ich mir noch diese Zipperhosen im Transa Outlet, die man kürzer machen kann.“ Wenn das erwachsen ist, wie sieht dann nicht erwachsen sein aus? Einfach nur nicht spießig? Einfach nur nicht ironisch?


Das genaue Gegenteil von Julian Pollinas Erwachsenenbild zumindest wäre sein Alter Ego: Faber. Faber ist gut gekleidet, verzockt sich an Spielautomaten in Monaco, er raucht viel und singt tief. So tief, dass man kaum glauben kann, dass er beim Erscheinen seines nun zweiten Albums gerade sechsundzwanzig Jahre alt ist. „I Fucking Love My Life“ heißt es, auf dem Cover hebt er, in weißem Anzug und Seidenmantel, selbstgefällig die (Zigaretten haltenden) Hände. Warum sollte er es auch nicht lieben: Er kommt aus einer Musikerfamilie, lebt in Zürich, ist erfolgreich. Und trotzdem weiß er: „Ich hab mehr Highlight im Gesicht als im Leben / Ich find’s schön, wenn es regnet / Ich frag mich: Was hab ich denn getan? / Ich Hure wollte euch doch nur gefallen.“ Schon schön also sein Leben, aber natürlich auch ein bisschen traurig. Und so wird es melancholisch von Bläsern und Streichern untermalt, die an die von Beirut erinnern. Und so wird es beschrieben in Texten, die mit denen von AnnenMayKantereit, Sophie Hunger, aber auch Georg Danzer und Leonard Cohen verglichen wurden.


Es gibt viele Genres, die sich aus seiner Musik heraushören lassen, getrost kann man ihn als Singer-Songwriter bezeichnen (was er selbst nicht so gern mag, denn das sei eher Musik zum Kuscheln). Sein eigentliches Genre bleibt dann aber doch: der Zynismus. Denn seine Stimme leiht Faber am liebsten moralisch fragwürdigen Personen. Einem Mann zum Beispiel, der eine Minderjährige verführen will. Oder einem, der Witze über im Mittelmeer Ertrinkende macht. Oder einer Frau, die ihren Selbstwert nur über Herzchen aus dem Internet zieht. Oder einer, die einen jungen Singer-Songwriter nach einem Konzert sexuell belästigt. Fast kein Song von Faber kommt aus, ohne dass einem von den Texten etwas oder sehr unwohl wird. Gleichzeitig sind sie so rhythmisch und eingängig, dass sie, ganz Folklore, zum Mitsingen bitten. Und was passiert dann mit der Ironie, wenn das Publikum eine erfundene angetrunkene Sechzehnjährige gemeinsam auffordert, sich auszuziehen?


Oder hört das Publikum dann auch mal auf, an bestimmten Stellen mitzusingen? „Nee. Die hören nicht auf. So fing es eigentlich an: Ich wollte sehen, wie weit ich Leute bringen kann, solange ich es nur gut verpacke. Das war ein zugegeben gefährliches Spiel. Jetzt sind die Größe und der Rahmen aber doch anders.“ Wir sitzen im sogenannten „Badehaus“ in Berlin-Friedrichshain, wo er abends eine von zwei Shows spielen wird. Er sieht aus wie der beliebte Junge einer Privatschule – weiße Socken mit schwarzen Loafern, grauer Hoodie mit grüner Barbour-Jacke –, und würde er jetzt sagen, dass er nach dem Interview wieder ins Schweizer Internat fahren muss, könnte man ihm das glauben. In dem kleinen Nebenraum, in dem sein Bandkollege Tillmann Ostendarp bis eben noch die Posaune stimmte, unterhalten wir uns, fast ganz unironisch. „Es gibt Songs, die ich nicht mehr so spielen kann.“ Er spricht von seiner ersten Single „Sei ein Faber im Wind“, in der eifersüchtig eine Ex-Freundin als „Nutte“ beschimpft wird, eine Zeile, für die er damals seinen ersten Shitstorm einfuhr. „Das funktioniert nicht, wenn Leute das besoffen in einer Bar mitgrölen.“


Dass der Zweck zu provozieren nicht unbedingt alle sprachlichen Mittel heiligt, bekam er auch diesen Sommer zu spüren, als er die Single „Das Boot ist voll“ veröffentlichte: Im Refrain sang er, in einem Wortspiel aus „Volksmund“ und „blond und blöd“, davon, „besorgte Bürger“ sexuell zu nötigen. Das ging seinen Fans zu weit: gegen rechts ja, aber bitte nicht in Form solcher Metaphern. Drei Tage nach Erscheinen hatte Pollina den Refrain bereits geändert. „Teile der Kritik konnte ich gut verstehen. Ich kann es selbst auch fragwürdig finden, was ich da gemacht habe. Es ist ein wütendes Lied. Aber dass Menschen mir tatsächlich unterstellt haben, ich hätte Vergewaltigungsphantasien? Das tat schon weh.“


Die derbe Sprache will er sich trotzdem nicht nehmen lassen, und er legt auch offen, welches seiner Musik doch eigentlich entfernte Genre ihn dazu inspiriert: der Hiphop. In seinem Song „Top“ persifliert er die meistgehörte Playlist auf Spotify, „Modus Mio“, in der deutscher Mainstream-Rap läuft. Die Texte dort sind oft harsch, frauenfeindlich, gewaltverherrlichend. Ob ihm diese Sprache nicht auch irgendwie gefalle, obwohl oder gerade weil er sie ironisch inszeniert? „Früher wollte ich der geschönten Popmusiksprache eine Absage erteilen. In meinen Texten sollten Dinge direkt gesagt werden. Am besten so, wie man sie denkt, obwohl man weiß, dass man sie so nicht denken sollte. Ohne Rücksicht darauf, ob man sich damit schlecht verkauft.“ Das verkaufte sich dann doch ziemlich gut – wie die „Modus Mio“-Playlist eben auch. Bloß, dass im Rap solche Textzeilen keinen vergleichbaren Shitstorm auslösen würden.


Deutschrap höre er aber nicht wirklich gern. Italienischen – sein Vater ist Italiener – vielleicht? „Schon!“ Was noch? Er grinst: „Travis Scott. Und noch ein Dude, der schwierig ist, ich weiß: Kanye West. Schwierig, aber auch ein bisschen geil“, fügt er noch hinzu, schließlich überrasche er dann doch immer wieder. So unähnlich sind manche von Fabers Songs denen von Kanyes neuem Album nicht: Inhaltlich lässt sich bei „Jesus Is King“ zumindest nur dann mitsingen, wenn man fundamental christlich lebt und sich die eigene Lebensweise an einer homophoben Fast-Food-Kette orientiert, die vorbildlich sonntags geschlossen ist. Wer’s trotzdem tut, dann der hymnischen Melodien wegen. Bei Kanye ist das natürlich im Gegensatz zu Faber aber ernst gemeint.


Ist das bei seinem neuen Album anders? Wenn das Publikum singt: „Ich steh für gar nichts, und dafür stehe ich ein!“, dann findet Pollina das auch immer noch „ein bisschen witzig“. Aber, wie er meint, man solle das Publikum auch nicht für dumm halten. Das sei ja mündig. Und nur weil es jung sei, sei es nicht dumm. Damit zitiert er eines der neuen Lieder: „Die Alten sagen, wir sind jung und dumm. Immerhin jung!“ Das fasst ganz gut zusammen, wie seine eigene Generation auf dem Album charakterisiert wird: gleichgültig, liebeshungrig, oberflächlich. Ihr Vorteil ist allein, noch etwas mehr Zeit zu haben, all dies nicht zu sein.


Mit „I Fucking Love My Life“ hat Pollina das Thema seines Debüts „Sei ein Faber im Wind“, das vor zwei Jahren erschien, damit etwas feinfühliger weitergesponnen. Auch dort besingt er bereits zynisch die Lebenswelt seiner Gleichaltrigen: „Wir sind beim Kaffee in Paris / Du schreibst mit Freunden aus Berlin / Ihr wärt so gerne VIPs bei einer Expo in Bourgin / Oder lieber Volunteers bei einem Hilfswerk in Bünin“. Offensichtlich ist es egal, ob es die Orte außerhalb der Metropolen überhaupt gibt. Hauptsache, man gibt sich global und weltoffen, ein bisschen wichtig, gleichzeitig immer ein bisschen selbstlos.


Sich über die Doppelmoral junger Menschen lustig zu machen ist sicherlich nicht schwer. Und ja, man könnte denken: Alles schon gehört über die zwei Seiten der Medaille. Aber das Selbstmitleid, das sich die Kunstfigur Faber selbst ausspricht – das Selbstmitleid über das eigene prädestinierte Dasein –, scheint den Nerv der besungenen Generation zu treffen: eine, die jung und europäisch, gebildet und engagiert ist, sich aber immer auch ein bisschen selbst belügen muss, weil sonst doch noch das schlechte Gewissen aufkommt, dass man vielleicht einfach nur Glück hatte.


Die Situation, in der sie lebt, ist dabei das eigentlich Zynische: „In Paris brennen die Autos und in Zürich mein Kamin“, und „Unser Dach ist der Himmel, unsere Heimat ist die Welt, und wir lieben uns, wenn draußen alles zerfällt“, singt er, und seinen Fans scheint diese Feststellung schon zu reichen: Es ist tröstend zu wissen, dass man sich das schlechte Gewissen immerhin mit vielen teilen kann – auch wenn man damit genau das fortführt, was Faber anklagt. Andererseits: Wer hat die Situation verschuldet? Und welche Generation steht vor der größeren Herausforderung: diejenige, die nach dem Krieg Europa wieder aufbauen musste, oder diejenige, die jetzt den Planeten retten soll?


„Ignorant“ findet Pollina die Generation seiner Eltern. „Ich glaube, die müssen irgendwie ihr ganzes Leben infrage stellen, weil sie merken, dass sie weder auf die Beziehung der Kontinente noch den Planeten aufgepasst haben. Sich einzugestehen, dass man einiges gegen die Wand gefahren hat, ist eben Scheiße. Ich glaube, das ist es, worüber sich die Leute aufregen: Nicht über die teils ja gar nicht so große Einschränkungen. Sondern, weil sie das kompensieren müssen.“


Trotzdem führt Pollina in seinen Texten lieber die jetzt jungen Erwachsenen vor: „Die Probleme, die aus allen Richtungen auf uns zukommen – Migration, Klima, Digitalisierung –, lassen einen schon ein wenig ohnmächtig werden. Und dazu kommt die Zerrissenheit, von Eltern aufgezogen worden zu sein, von denen man gelernt hat, dass man es sich auch ein bisschen gut gehen lassen kann – man sieht ja nicht, wer darunter leidet, wen man ausbeutet. Uns ist das sicher bewusster, aber irgendwie will man ja trotzdem nach Bali fliegen, einfach weil man es so mitbekommen hat.“


Wenn Pollina das so erklärt, wirkt sein Alter Ego Faber weniger wie eine zynische Inszenierung seiner selbst, sondern doch viel mehr wie eine Sehnsuchtsfigur all derjenigen, die sich vorstellen, dass es da mal eine Generation gegeben hätte, die weiße Anzüge und Seidenmäntel mit mehr Chuzpe getragen hätte. Vielleicht findet sich ja zwischen all dem zynischen Rollenspiel doch etwas Optimistisches? „Mit meinen Figuren sympathisiere ich nicht. Aber ich versuche, ihnen doch ein gewisses Verständnis entgegenzubringen, wenn auch nicht allen. Außerdem: Es kann ja ganz spannend sein, sich in andere Situationen hineinzuversetzen und sich im besten Fall ertappt zu fühlen.“


Und was passiert nun mit der Figur Faber, wenn Julian Pollina erwachsen wird? „Ich fahr' die jetzt gegen die Wand. Gerade habe ich gar keine Lust, etwas zu schreiben. Und so ein gut funktionierendes Projekt gegen die Wand zu fahren halt auch geil.“ Klingt erwachsen.

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