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Doja Cat: Der Antipopstar

Die Sängerin Doja Cat unterläuft alle Erwartungen, die an weibliche Popstars gestellt werden. Das macht sie so erfolgreich.

Erschienen in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 1. Oktober 2023


Doja Cat ist zwar ein Popstar, schön, Rapperin, erfolgreich – aber damit sicher kein Vorbild. Als Person sei sie „impulsiv“, wie sie von sich sagt. Wer sie beschimpft, wird zurückbeschimpft. Und im Gegensatz zu anderen berühmten Menschen sucht Doja Cat den Ärger. Der Ort, an dem sie ihn findet, ist der, an dem sie groß geworden ist: das Netz.


Kaum ein anderer weiblicher Star nimmt sich und andere öffentlich so wenig ernst – genau deshalb ist sie so erfolgreich. Gerade hat die fast 28 Jahre alte Kalifornierin ihre vierte Platte, „Scarlet“, veröffentlicht. Wie sie ihr erstes, gut einstündiges Rapalbum vermarktete, ist ein Lehrstück dafür, wie heute Musiker auf sozialen Plattformen groß gemacht werden und dass es möglich ist, den Kommerz für sich zu nutzen und ihm gleichzeitig zu widerstehen.


Erst sexy-flauschig, dann dilettantisch


Die Karriere von Doja Cat, bürgerlich Amalaratna Zandile Dlamini, begann auf Soundcloud. Mit 16 Jahren produzierte sie ihre eigenen Lo-Fi-Hip-Hop- und R’n’b-Tracks. Als sie 17 war, nahm Produzent Dr. Luke sie heimlich unter Vertrag, mit 19 bekam sie für den sexy-flauschigen EP-Track „So High“ erste öffentliche Aufmerksamkeit. Erst vier Jahre später erschien ihr Debüt „Amala“. Erfolgreich wurde sie aber durch ein absichtlich dilettantisch produziertes Youtube-Video zu „Mooo!“, in dem sie, (mehr oder weniger) als Kuh verkleidet, rappte: „Bitch, I’m a cow, bitch, I’m a cow, I’m not a cat, I don’t say meow“ – ein Song, so absurd und eingängig wie ein Meme. Und eine sichere Währung, um im Netz schnell berühmt zu werden (das Video hat 126 Millionen Klicks).


Der scheinbar stupide Text von „Mooo!“ ist zugleich eine Absage an die Konventionen, nach denen weibliche Popstars funktionieren sollen. Machen diese, wie Taylor Swift, Ariana Grande oder Lana del Rey, Privates (Beyoncés Beziehungskrisen zum Beispiel oder Billie Eilishs Erwachsenwerden) überhaupt zum Thema, ist die – vermeintliche – Nahbarkeit hochprofessionell inszeniert.


Doja Cat entzieht sich dem zwar nicht, sie greift dabei aber das höchste Gut eines Stars an: die eigene Gefolgschaft. „Für mich ist es eine Form der Unterhaltung. Wir alle genießen Streitereien auf Twitter, das Chaos, das durch unverschämte Kommentare entsteht“, sagte sie einmal in einem Interview. Da sie als Mädchen „1000 Jahre im Internet verbracht hat“, wisse sie, wie es dort zugehe – und könne damit umgehen. Beispielsweise müsse man unbedingt auf fiese Kommentare antworten: „Es ist eine Kunst, und ich liebe es, verdammt noch mal, gegen Trolle in den Krieg zu ziehen.“


Das Schlachtfeld sucht sie dabei nicht immer selbst aus. Wie alle gegenwärtig berühmten Menschen hinterlässt sie einen digitalen Fußabdruck, und mit jedem ihrer Erfolgsschritte gräbt jemand Fehltritte aus ihrer Vergangenheit aus. Sie hat Rapper homophob beleidigt, mit Musikern gearbeitet, die sich wegen Übergriffen zu verantworten hatten (unter anderem Dr. Luke), sie chattete per Video mit Männern in einem rechten Netzwerk, datete eine Internetpersönlichkeit, die durch Machtmissbrauch aufgefallen war. Für manches entschuldigte sie sich, mal mehr, mal weniger ernsthaft. Geläutert zeigte sie sich nie. Denn egal, was sie tat: Ihrem Erfolg tat es keinen Abbruch.


Geschoren statt Perücke


Letztes Jahr schor sie sich den Kopf, die Augenbrauen gleich mit. Und hatte keine Lust mehr auf die Perücken, die sie häufig trug. Die seien eher ein Kostüm gewesen, in dem sie berühmt wurde: in Türkis für „Go To Town“, Hellblond für „Say So“ oder Rosa für „Kiss Me More“. All diese Hits waren so poppig wie ihr Haar bonbonfarben, garniert durch Rap von Nicki Minaj oder R’n’B von SZA. Innerhalb weniger Jahre schaffte sie es in alle wichtigen Top Ten der Charts und gewann alle wichtigen Musikpreise.


Ihre beiden letzten Alben „Hot Pink“ und „Planet Her“, das erklärte sie diesen Sommer, seien aber eigentlich „mediokre Cash Grabs“ gewesen, mittelmäßige Mainstream-Musik also, die möglichst viel Geld einbringen sollte. Ihre Fans sollten mal weiter auf schlechten Pop warten, schrieb sie. Sie werde sich so lange mit der echten Welt da draußen beschäftigen. Ihre Fans (sehr greifbare 5,6 Millionen Follower auf der Plattform X, 24,5 Millionen Follower auf Instagram, noch etwas mehr auf Tiktok) wurden daraufhin böse. Wer habe sie denn groß gemacht, gefördert, wer zahle denn ihre Rechnungen und: Wie könne sie nur schlecht über ihre Musik sprechen? Aber Doja Cat weiß: Um ihre Rechnungen zu zahlen, braucht sie keine Fans, die sie lieben, sondern muss nur rechtzeitig vor Erscheinen eines Albums von sich reden machen.


Parasoziale Beziehungen


An dem Verhältnis von Doja Cat und ihren sogenannten „kittenz“ zeigt sich, dass Fankultur eine neue Dimension erreicht hat: Als Kollektive sind Fans zum Problem geworden, weil sie vehement Anspruch auf ihre Stars erheben; für Beyoncé ist es der „Beyhive“, für BTS die „Army“, für Nicky Minaj sind es die „Barbz“ und für Taylor Swift die „Swifties“. Diese Fans beobachten, analysieren, aber kritisieren auch und fordern, wie sich ihre Heldin zu verhalten hat, als wäre sie durch ihre Allgegenwärtigkeit eine echte Person in ihrem Leben.


Das Phänomen dieser sogenannten „parasozialen Beziehungen“ reizt Doja Cat bis zum Äußersten aus. Ihre Tracks werden weiterhin durch eingängige Motive und witzige Zeilen gezielt auf Tiktok für Memes und Tänze platziert. Bei Modenschauen erscheint sie mit geschminktem blauem Auge, rot bemalt und mit Kristallsteinen beklebt, mit einem Bart aus Wimpern, gibt ein Interview in Miau-Geräuschen. Auf Instagram, Twitch und Periscope chattet sie, dreht Livevideos, lädt Schnappschüsse hoch, zeigt sich exzentrisch, verspielt oder unretuschiert, sie kommentiert und blockt. Danach befragt, ob sie ihre Fans liebe, sagte sie: „Natürlich liebe ich euch nicht, ich kenne euch alle ja gar nicht.“ Sie verlor auf Instagram daraufhin eine Million Follower. Doch das kann ihr egal sein. Zwischen Fan und Foe muss sie nicht mehr unterscheiden.


Das hat sie zum Thema ihres neuen Albums gemacht. Nachdem sie augenzwinkernd erklärt hatte, es solle ein Rave- oder Metal- oder Jazzalbum werden, wurde es erwartungsgemäß ein Rapalbum, dessen poppigsten Tracks schon seit Wochen als Singles im Netz anklingen: „This one ­doesn’t bite, It doesn’t get aggressive, Show you how to touch it, Hold it like it’s pre­cious, It don’t need your lovin’, It just needs attention“, singt sie in „Attention“. Sie inszeniert sich als Kreatur im Pakt mit dem Teufel, die weiß, wie sie die Hölle, die die anderen sind, bespielen muss. „I’m a demon lord“, rappt sie in „Paint the Town Red“. Auf den fünfzehn weiteren Tracks beweist sie aber vor allem, dass ihre Stimme androgyn oder sexy klingen kann, dass sie nicht ein einziges Feature mehr braucht. Und dass sie so schlagfertig und smart rappt wie die Größen der ­frühen Neunziger, in denen es in der Musik noch echten Schlagabtausch gab. Diese Größen scheinen ihr ein Vorbild zu sein.


Doja Cat, „Scarlet“, Kemosabe Records/RCA Records

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