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Serie "Barry": Wie aus der Pistole

Ein Killer will Schauspieler werden, um nicht mehr töten zu müssen. Leider muss er auf dem dorthin über Leichen gehen. Die zweite Staffel von „Barry“


Erschienen am 2. Juni 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung


Es gibt Szenarien, bei denen man sich nur schwer vorstellen kann, dass sie das Material für eine Comedyserie hergeben. Beispiel: Ein Soldat kehrt aus dem Krieg zurück und ist aufgrund einer Posttraumatischen Belastungsstörung unfähig, Arbeit und sozialen Anschluss zu finden. Das ist das Leben von Barry Berkman, gespielt von Bill Hader, in der gleichnamigen HBO-Serie. Weil er für einen Nine-to-Five-Job untauglich ist, besorgt ihm der alte Familienfreund Monroe Fuches (Stephen Root) Aufträge, bei denen er mit seinen exzellenten Marine-Fähigkeiten viel Geld verdienen kann: nämlich Menschen töten. Und das Geschäft läuft gut.


Als Barry dann den Auftrag bekommt, einen jungen Mann in Los Angeles umzulegen, kommt Barry in Kontakt mit der Schauspielwelt. Fasziniert davon, wie intensiv sich Schauspieler mit Gefühlswelten auseinandersetzen müssen, will Barry den Branchenwechsel wagen. Schauspiellehrer Gene Cousineau (Henry Winkler) ist von seinem Talent nicht gerade überzeugt, bis Barry ihm einen vermeintlich hanebüchenen Monolog darüber hält, dass er eigentlich ein Auftragsmörder sei. Cousineau nimmt ihn prompt in seinen Unterricht auf. Wenn da nicht noch der Mord an seinem Schauspielkollegen ausstehen würde, und sein Auftraggeber, ein tschetschenischer Mafiaboss, sowie Fuches hinter ihm her wären.


Das ist die Ausgangslage der ersten Staffel, für die Bill Hader letztes Jahr einen Emmy gewann. Bekannt wurde Hader neben Filmen wie „Superbad“, „The Skeleton Twins“ und „Trainwreck“ vor allem durch acht Staffeln „Saturday Night Live“, besonders für seine Rolle als Stefon, ein schwuler New Yorker Szene-In-sider, der Touristen Geheimtipps für das kulturelle Nachtleben gibt. Barry ist Haders erstes eigenes Projekt, bei dem er vor wie hinter der Kamera mitwirkt; ein Karriereschritt, den er gewagt hat, weil ihm das jahrelange Live-Witze-Machen zu viel wurde. Geschrieben und produziert hat er die Serie gemeinsam mit Alec Berg, der unter anderem „Silicon Valley“ und „Seinfeld“ produzierte. Entsprechend klug sind die Dialoge, die sich zwischen den gut beobachteten Charakteren entwickeln. Ob Polizist, Schauspielerin oder Mafioso: Alle sind sie bestrebt, ihren Job möglichst gut zu machen, auch wenn sie alle etwas dilettantisch dabei sind.


Mafioso Noho Hank (Anthony Carrigan) lebt beispielsweise mit seinen engen Poloshirts, teurer Uhr und einem Händchen für Slang breit lächelnd den amerikanischen Traum, schmiedet jedoch ständig Pläne mit geringer Erfolgsquote. „Hank“ hat Barry in der zweiten Staffel so sehr ins Herz geschlossen, dass er ihn auch privat um Rat, meistens aber um Tat bittet. Etwa seine kleine Privatarmee auszubilden, um gegen die bolivianische Mafia und buddhistische Mönche vorzugehen, die durch ein Kloster Drogen schmuggeln. Und Barry, stets in der Hoffnung, den Teufelskreis zu durchbrechen, sieht sich immer wieder „einen letzten“ Auftrag ausführen. Dass ihn seine narzisstische Schauspielkollegin Sally Reed (Sarah Goldberg) für ihr selbstgeschriebenes Stück einspannt, macht die Sache für ihn nicht einfacher.


Nur einen Vorteil scheint sein Lebenslauf zu haben, und zwar, dass er seine traumatischen Kriegserlebnisse als Method Actor nutzen kann, um glaubhaft Sallys Ex-Freund zu spielen. „Barry“ wird in der zweiten Staffel überraschend konsequent erzählt, wofür auch mal der ein oder andere zentrale Charakter sterben muss. Denn das Dilemma der Hauptfigur, niemanden mehr töten zu wollen und es dann doch zu tun, um sich selbst oder andere zu schützen, führt ihn in einen Gewissenskonflikt, der sich nur mit besonders schwarzem Humor erzählen lässt.


Und auch stilistisch traut sich „Barry“ etwas, wenn die fünfte Folge so irritierend gut in einen absurden Plot umschwenkt, dass man sie getrost als Finale hätte nutzen können. Besonders die realistischen Kampfszenen, die so auch von den Coen-Brüdern stammen könnten, zeigen, wie merkwürdig es eigentlich ist, wenn zwei Körper sich ineinander verkeilen und die Situation dabei schon aus sich selbst heraus komisch ist. Nach der zweiten Staffel findet man sich dann selbst in einer komischen Situation wieder, weil man mit einem Auftragskiller sympathisiert, auf dessen zentrale Charakterfrage – „Bin ich böse?“ – man am liebsten „Nein!“ antworten würde, wenn da nicht die vielen Leichen wären.

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