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Valerie Pachner bei den Salzburger Festpielen: Leben und sterben lassen

Valerie Pachner spielt im diesjährigen „Jedermann“ Tod und Buhlschaft in Personalunion. Geht das überhaupt? Und wäre es nicht mal Zeit für ein ganz neues Stück? Eine Begegnung in Salzburg.


Erschienen am 16. Juli 2023 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung


Der Himmel hat sich anders entschieden. Kein Schnürlregen über Salzburg, stattdessen gleißendes Sonnenlicht über der Stadt. So können sich Touristen durch die dampfende Luft auf den Domplatz schieben, in dessen Mitte sich die Tribüne erhebt. Bühnenleute mit weißen Helmen wie Bergsteiger kraxeln herum und lassen den Bass der schwedischen Electroband The Knife über den Platz schallen. Zwischen den hoch gestapelten Sitzen und der barocken Domfassade liegen schwarze Hügel. Sie werden die Bühne bilden, auf der am 21. Juli der „Jedermann” aufgeführt wird.


In mehr als hundert Jahren hat das katholische Bekehrungsspiel von Hugo von Hofmannsthal, das Kernstück der Salzburger Festspiele, mehr als 700 Aufführungen erlebt. Auch dieses Jahr sind alle Tickets verkauft. Erstmals soll es ein „echtes Bühnenbild“ geben, eine Fassade, die Drinnen und Draußen trennt, sagt Regisseur Michael Sturminger. Nach Tobias Moretti und Lars Eidinger wird Michael Maertens den neuen Jedermann geben, den reichen Mann, der sich angesichts seines unausweichlichen Todes fragen muss, was er der Welt eigentlich hinterlässt und was er mitnehmen kann in den Himmel, wenn ihm denn Einlass gewährt wird.


Eine Doppelrolle, die es noch nie gab


Seine Geliebte, die Buhlschaft, so viel ist gewiss, wird es nicht sein. Auch sie ist neu besetzt: mit der österreichischen Schauspielerin Valerie Pachner. Aber, und das ist wirklich neu, sie wird erstmals auch den Tod spielen. Eine Doppelrolle, die es in dieser Form noch nie gab. Die 36-Jährige sitzt im Schatten auf der Presseterrasse der Festspiele, oberhalb des Domplatzes, wo die Popmusik vom ohrenbetäubenden Mittagsgeläut abgelöst wurde. „Das müssen wir jetzt kurz aushalten“, sagt sie und lächelt. Sie trägt ein schwarzes Häkeltop und das braune Haar offen. Ihre Augen erinnern an die von Charlotte Rampling; nur sind sie dunkel und so blau, dass man meinen könnte, die Linsen, die sie trägt, seien gefärbt.


Seit sieben Wochen probt Pachner in Salzburg. Wie läuft es? „Die Zeit vor der Premiere wird intensiv, da wird sicher noch mal etwas passieren.“ Wann hat sie den „Jedermann“ zum ersten Mal gesehen? „Das war 2017. Wir haben es drinnen gesehen, eine Generalprobe, denn das Wetter war schlecht.“ Das war Sturmingers erste Inszenierung. Jetzt führt er zum siebten Mal Regie, zum dritten Mal inszeniert er das Stück neu.


Die grundlegende Wahrnehmung verändert das wenig. Für die einen (vor allem Österreicher) ist es ein ikonisches Festspielerlebnis; für andere ein „Kasperletheater“ mit hochkarätiger Besetzung. Ein österreichischer Schriftsteller nannte es mal „aberwitzigen Dreck und blasphemischen Hohn“, ein früherer österreichischer Kanzler einen „bigotten Stoff“. Und der letzte Jedermann aus Deutschland, Lars Eidinger, sagte, das Stück habe den „Stellenwert des ‚Traumschiffs‘“.


Wie sieht Valerie Pachner das? „Ich finde, es hat ein bisschen von alledem. Es ist ein Teil österreichischer Identität. Als Darstellerin muss ich mich dennoch fragen: Was bedeutet denn jetzt Tod, was bedeutet Glaube?“ Ihr gefalle, dass der Protagonist nur seine Taten und nicht die Liebe mit in den Tod nehmen könne. „Das sind ja Fragen, die uns heute beschäftigen, gerade hinsichtlich des Klimawandels. Was man für sich selbst tut, das stirbt mit einem. Und was man für andere tut, das bleibt.“


Während die schon zu Hofmannsthals Zeiten veralteten Knittelverse also bleiben, werden zumindest die Figuren modern ausstaffiert. „Ich merke jetzt, wenn ich selbst mitspiele, wie emotional aufgeladen das Stück ist. Ich werde oft zu Themen befragt, die sich um das Stück ranken und nicht nur zum Inhalt selbst.“ Einem Thema wurde dabei besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt: dem Kleid der Buhlschaft. Es ist meist rot, einmal blau, auch mal schwarz oder hautfarben. Vor allem aber soll es sexy sein. Und weil die kleine Rolle – sie umfasst gerade mal an die dreißig Sätze – als sinnliches Love Interest erdacht wurde, soll sie vor allem von konventionell schönen Frauen gespielt werden. Unter anderem übernahmen schon Veronica Ferres, Senta Berger, Marie Bäumer und Sunnyi Melles den Part.


Wie feminin muss die Buhlschaft sein?


Dass Pachners Vorgängerin Verena Altenberger die Buhlschaft zwei Sommer lang als emanzipierte Liebhaberin mit kurzen Haaren spielte, gefiel einigen Kritikern und männlichen Zuschauern nicht. Sie soll Hunderte Zuschriften erhalten haben, in denen beklagt wurde, sie sei nicht „weiblich“ genug. Auch diese Rezeption hat Tradition. Vor 25 Jahren wurde über Sophie Rois gesagt, ihre Brüste seien zu klein, vor zehn Jahren befragte man Birgit Minichmayr zu ihrem Dekolleté, vor gut fünf Jahren hielt man Stefanie Reinsperger vor, sie sei zu dick für die Buhlschaft.


Wie nimmt Pachner das wahr? „Ich finde es krass, wie viele Erwartungen und Bilder an die Buhlschaft geknüpft werden. Und wie sehr es da um die jeweilige Darstellerin ging.“ Die Frage, was feminin, weiblich, sexy sei, beschäftige sie dabei ungewollt schon, seit sie als Schauspielerin arbeite. „Ich habe früher nie hohe Schuhe getragen und Feminines eher abgelehnt, und in der Schauspielschule wurde ich damit konfrontiert, dass ich das irgendwie lernen müsse: So ist eine richtige Frau! Sich so zu kleiden und zu begreifen, woher meine eigene Ablehnung von Femininem herrührte, verstand ich erst dann.“


Ist die Buhlschaft nun eine flache Frauenrolle? Oder eine Fläche, die sich subversiv bespielen lässt? „Ich will den Menschen spielen. Für mich bedeutet Buhlschaft vor allem Liebe, Lebendigkeit, Mitgefühl. Und danach will ich sie untersuchen auf ihre Funktion im Stück und weniger auf ihre Weiblichkeit.“ Findet sie die Rolle anspruchsvoll? „Nein, anspruchsvoll finde ich sie nicht. Aber ich finde sie auch nicht leicht. Kleine Rollen sind nicht leicht. Und sie ist ein bisschen undankbar, weil sie nur über den Jedermann funktioniert. Es ist schwierig, da eine Subjektivität zu behalten.”


Aus dem Dom tönt inzwischen leise ein Glockenspiel. Dass die Buhlschaft so wenige Sätze spricht, hätte Pachner gerne kompensiert gesehen durch einen neuen, parallelen Monolog, wie ihn etwa der Schweizer Theatermacher Milo Rau für „Everywoman“ schrieb. Aber für die Festspiele wäre das nicht umsetzbar gewesen. Die Schauspielchefin Bettina Hering habe ihr dann angeboten, auch den Tod zu spielen. Doppelrollen sind bei „Jedermann“ üblich. Sarah Viktoria Frick etwa wird dieses Jahr Gott und Teufel darstellen.


Weltlicher Tod, allegorische Liebe


Wird bei Pachner der Tod nun weltlicher, die Buhlschaft allegorischer? „Würde ich nur die Buhlschaft spielen, würde ich mich wohl stark damit aufhalten, sie nicht zu schwach, nicht zu süß wirken zu lassen.“ Durch den Tod habe sie einen Ausgleich. „Den Tod würde ich am liebsten körperlos spielen. Wenn eine Frau den Tod spielt, spielt der Körper eine viel größere Rolle.“


Unten im Toscaninihof muss eine Führung zu Ende gegangen sein, das Klatschen weniger Leute schallt hoch zur Terrasse. Valerie Pachner ist nicht weit von hier groß geworden, in Bad Schallerbach. Seit vier Jahren lebt sie in Berlin. Ihre Mutter ist Lehrerin, ihr Vater hat in einer kleinen Firma gearbeitet. Eltern und Vorfahren entstammen Bauernfamilien. Ein Leben auf dem Land wäre für sie aber unvorstellbar gewesen. „Weg aus der Provinz zu kommen war mein Hauptantrieb im Leben. Das Schauspielen war eine Möglichkeit dafür.“ Ihre Firmpatin habe ihr eine Mappe für einen Theaterworkshop gegeben; auf einen Sommer in Graz folgten viele Samstage bei einem Jugendtheaterklub in Linz. Den Beruf wollte sie aber dennoch nicht ergreifen: „Ich hatte nie das Bild von mir als Schauspielerin.“


Also studierte sie Internationale Entwicklung in Wien, machte ein Praktikum in New York an der österreichischen Botschaft und verbrachte ein Jahr in Honduras. „Damals hatte ich den starken Wunsch, auf politischem Wege etwas für die Welt tun zu wollen.“ Und warum dann doch die Schauspielerei? „Ich wollte nicht bereuen, es nicht probiert zu haben.“ Dann wurde sie am Max-Reinhardt-Seminar genommen. Ganz einfach sei das nicht gewesen, aus dem sehr politisierten Umfeld in die Kunst zu wechseln. Dafür lief ihre Schauspielkarriere umso glatter. Der Intendant Martin Kusej holte sie direkt nach ihrem Abschluss als Ensemblemitglied ans Münchner Residenztheater. Als er nach Wien wechselte, blieb sie.


Da hatte sie schon ein paar Filme gedreht. Seitdem war sie im Kino Egon Schieles Muse und Lebensgefährtin Wally Neuzil, Stieftochter von Stefan Zweig, Tankstellenkassiererin und Unternehmensberaterin mit paranoider Schwester. Wie wählt sie ihre Rollen? „Ich mag es, wenn Figuren Schweres durchmachen müssen oder mit sich selbst eine schwierige Zeit haben“, sagt sie und lacht dabei. Wie Franziska Jägerstätter in Terrence Malicks „Ein verborgenes Leben“, einem Film über die wahre Geschichte eines österreichischen Bauern, der im Nationalsozialismus den Kriegsdienst verweigert und hingerichtet wird. Durch Malicks Film wurde man international auf sie aufmerksam. Sie wirkte in kleineren Rollen in großen Produktionen mit. Sie habe zuletzt aber wieder den Wunsch gehabt, auf Deutsch zu spielen.


In der Doppelrolle bei den Festspielen steht sie das erste Mal seit sechs Jahren wieder auf der Bühne. Wie war das? „Respekt. Und die Hoffnung, dass es wie Radfahren ist. Vor allem aber schön. Man ist mehr im Körper, der ist ja beim Film gern mal abgeschnitten. Und das gemeinsame Spielen, als Gruppe, im Ensemble ist vordergründiger.“ Ob sie nächstes Jahr noch mal dabei sein wird, weiß sie noch nicht.


Wird es irgendwann doch mal eine „Jederfrau“ geben? „Ich denke, das wird passieren. Aber jetzt finde ich es auch gut, dass es noch ein Mann ist, weil das den Status quo spiegelt. Die reichsten und mächtigsten Menschen sind Männer. Und das Sterben des reichen Mannes finde ich auf der Bühne daher folgerichtig. Wenn jetzt eine reiche Frau sterben würde, würde das etwas anderes bedeuten. Aus einer feministischen Perspektive ist der Jedermann so richtig“, sagt Valerie Pachner und fügt hinzu: „Dann müsste man doch ein neues Stück schreiben.“

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