Mit ihrem neuen Album „Aelita“ haben sich die schwedischen Indie-Rocker Mando Diao neu erfunden – wenn auch nicht ganz gewollt. Frontmann Björn Dixgård sprach mit Max Tholl und Caroline Jebens über die Gemeinsamkeiten zwischen Wissenschaft und Musik, schwedische Melancholie und die Gefahr, zur eigenen Coverband zu werden.
Erschienen am 15.05.2014 auf theeuropean.de
Euer neues Album „Aelita“ ist nach einem alten russischen Synthesizer benannt. Verabschieden sich Mando Diao damit endgültig von Gitarren und Rockmusik?
Dixgård: Nein, wir verschließen aus Prinzip keine Türen, oder verabschieden uns von etwas. Das mag daran liegen, dass wir in den 1990ern aufgewachsen sind und daher mit großer Vielfalt in Musik und Kultur. Wir haben damals Bob Marley, die Beatles, Michael Jackson, James Brown, Countrymusic und eben auch elektronische Musik wie TripHop gehört. Daher hatten wir nie das Gefühl, einem einzigen Genre anzugehören.
„Aelita“ hat einen starken 80er-Sound. Was hat euch in diese Richtung experimentieren lassen? Dixgård: Ich weiß gar nicht, ob das Album so Achtziger ist – aber ich verstehe, wenn Leute das denken. Vor allem „Black Saturday“ hat das, was viele als 80er-Sound bezeichnen. Um auf die Frage zurückzukommen: Wir haben diesen alten Aelita-Synthesizer in einem Secondhand-Laden in Schweden gefunden und ihn mit ins Studio genommen. Wir schlossen ihn an und versuchten, darauf zu spielen, aber es kam einfach nichts raus, keine Klänge, keine Geräusche, nichts. Als wir gerade eine Kaffeepause einlegten, hörten wir plötzlich komische Geräusche aus dem Studio: es war der Synthesizer. Ohne dass einer von uns ihn überhaupt berührte, gab er merkwürdige Geräusche von sich, manche gleichzeitig, wie ein Tier. Es war, als hätte er ein Eigenleben entwickelt. Es ist ein Synthesizer, der niemals das gleiche Geräusch von sich gibt.
Was euch gefiel. Dixgård: Dadurch haben wir angefangen, darüber nachzudenken, inwieweit Technologie und Biologie sich ähneln und was sie eigentlich unterscheidet. Wir sind keine Wissenschaftler und müssen daher bei solchen Überlegungen nicht so streng sein, sondern können experimentierfreudiger sein. Aber das reichte: Es war der Anfang und die Inspiration für die neue Platte. Das Schreiben der Songs verlief aber nach altem Muster. Unsere Melodien sind immer noch typisch schwedisch und melancholisch.
Also war das für euch eher eine natürliche, musikalische Entwicklung, als eine gezielte, geplante Entscheidung? Dixgård: Ja, wir haben nie einen genauen Plan, wenn wir uns an die Arbeit für ein neues Album setzen. Das haben wir einmal ausprobiert, funktionierte aber nicht. Wir schreiben rund um die Uhr Lieder, es ist ein immerwährender Prozess und so bleiben wir offen für Neues. Wir haben Visionen, keine Pläne.
Jetzt schon Visionen für die nächste Platte? Dixgård: Wir würden gerne eine Platte auf dem Nordpol aufnehmen, nur um zu sehen, was passiert, wenn man da oben Musik macht. Aber das ist keine Vision, die schon beinhaltet, wie diese Musik dann wirklich aussehen könnte – so weit denken wir im Voraus nicht. Wir denken auch nicht in Jahrzehnten, wir haben da andere Denkansätze.
Hattet ihr bestimmte Künstler im Kopf, als ihr an der Platte gearbeitet habt? Dixgård: Nein. Natürlich stehen wir unter vielen Einflüssen, aber wir haben nie das Ziel, irgendetwas Neues zu sein oder innovative Künstler zu imitieren. Wir haben viele Ansätze, um zu unseren Sounds zu kommen, und die sind immer ein bisschen zufällig. Der Synthesizer ist da nur ein kleiner Teil. Für unser jetziges Album haben wir viele neue Technologien verwendet, Plug-ins und Software, und natürlich „echte Instrumente“. Wenn wir etwas gelernt haben über die letzten Jahre, dann, dass es keine „besseren“ oder „schlechteren“ Instrumente gibt – alle sind gleichwertig. Eine Gitarre sollte gleich behandelt werden, wie ein Sampler aus Hongkong.
Es gibt aber noch viele Regeln und Trennlinien in der Musik. Dixgård: Leider ja. Mal ehrlich: Diese Regeln sind doch eigentlich voll für den Arsch! Musikmachen sollte etwas Spielerisches sein – wie Lego spielen.
Warum denken Menschen dann immer noch in Kategorien? Wenn ihr als Rockband ein Album veröffentlicht, das stark elektronisch ist, reagieren die Menschen erstaunt, teils verärgert. Dixgård Gute Frage! Vielleicht haben Menschen einfach ein Problem damit, von Dingen loszulassen, an die sie gewöhnt sind – ein kleines Problem, ihre Komfortzone zu verlassen. Wenn ich selbst neue Musik höre oder einen neuen Film sehe, dann bin ich automatisch skeptisch. Sobald wir etwas hören oder sehen, was wir noch nicht kennen, nehmen wir eine Abwehrhaltung ein und neigen dazu, es nicht zu mögen. Wir sollten uns jedoch öffnen und diese Komfortzone durchbrechen. Das ist, zugegeben, nicht leicht.
Mando Diao sind dafür bekannt, experimentierfreudig zu sein. Wie schwierig ist es, so oft seinen Sound zu verändern und trotzdem die Fangemeinde zusammenzuhalten? Dixgård: Es ist schwer, das genau zu sagen. Wir können das nicht kontrollieren und daher wissen wir oft nicht, was wir gewinnen und was wir verlieren – ich schätze, es gleicht sich aus. Seit unserem ersten Lied 2002 verändern wir stetig unsere Sounds. Damals haben wir durchwachsene Reaktionen darauf bekommen und waren damit ziemlich überfordert. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt und denken nicht mehr so oft darüber nach, was Leute über unsere Musik denken.
Es ist kühn, das zu sagen: Wenn man erst einmal eine bestimmte Fangemeinde etabliert und mit einem bestimmten Sound Erfolg hat, scheint es das Einfachste zu sein, diesen beizubehalten. Dixgård: Ich weiß, was ihr meint. Es gab eine Zeit, in der wir versucht haben, uns selbst zu kopieren, aber das Resultat war grausam. Heutzutage gibt es viele Bands, die das machen und sich dabei immer und immer wiederholen. Sie hängen fest und ihre Musik wird zunehmend schlechter. Auf eine bestimmte Art und Weise bewundere ich diese Menschen, die immer wieder dasselbe machen können – ich könnte das aber nicht.
Ab einem bestimmten Punkt wird man dann auch zu seiner eigenen Coverband. Dixgård: Genau! Das ist vielen Gruppen passiert – sogar den erfolgreichen.
Gibt es ein Musikgenre, das für euch niemals infrage kommen würde? Dixgård: Nicht wirklich. Es gibt Genres, die wir bevorzugen, aber es gibt nichts, was wir komplett ausschließen würden. Vielleicht, als wir 22 waren, aber nicht mehr heute. Ich habe nicht das Gefühl, zu einer bestimmten Gruppe, Gesellschaft oder Kultur zu gehören, warum sollte sich meine Musik also einer zuordnen?
Du würdest dich selbst nicht als Rockmusiker bezeichnen? Dixgård: Ich nehme mich selbst nicht als jemand Bestimmten wahr – nur als menschliches Wesen, wie jeder andere auch. Ich möchte wirklich nicht wie Jesus klingen, aber das ist das, was ich fühle. Gruppierungen innerhalb von Gesellschaften nehme ich als sehr gefährlich wahr und ich glaube, sie sind die Wurzel allen Übels. Dieses „Ich gehöre hierhin, du dorthin“- Denken. Das ist sehr bedrohlich und beängstigend.
Wie du schon sagtest, ist Mando Diaos Sound eine Verschmelzung diverser Genres vergangener Jahrzehnte. Steckt da eine gewisse Nostalgie dahinter? Dixgård: Nicht wirklich. Wir nehmen uns selbst als sehr modern wahr. Das ist komisch, denn offensichtlich teilt niemand diese Meinung! Aber die Art, wie wir arbeiten, die Weise, mit der wir das Leben angehen, wie wir unsere neue Musik ausdrücken, das ist sehr modern: Unsere Kreativität schöpft sowohl aus alter als auch aus neuer Musik – zumindest ist das meine Sichtweise. Bei unserem jetzigen Album haben uns der Rapper Lil’ Wayne und der Soundtrack des Films „Drive“ stark beeinflusst.
Was wollt ihr denn mit eurer Musik ausdrücken? Dixgård: Was wir wirklich wollen, ist der Welt all unsere bunte Federn zeigen. Jeder Mensch dieser Welt hat Ideen und Fantasien – die Frage ist, ob man sich traut, diese zu zeigen! „Tut es, zeigt sie!“, das ist unsere eigentliche Botschaft. Wir müssen nicht viel darüber reden, sondern einfach nur weiterhin das tun, was wir bisher gemacht haben. Ob wir uns dafür der Vergangenheit oder der Zukunft zuwenden, spielt dann keine Rolle mehr. Wir müssen nicht innovativ sein. Wir haben keine Regeln. Daher muss unsere Musik nicht modern klingen, es reicht, wenn wir modern denken. Wenn ich ein Lied aus den 20er-Jahren höre, das ich davor noch nicht kannte, dann ist das für mich genauso inspirierend wie eine brandneue Single. Alles ist neue Musik, wenn man sie davor noch nie gehört hat.
Liebe und Romantik sind die Themen, die mit Abstand am häufigsten in Liedern aufgegriffen werden – auch auf eurem neuen Album. Woher kommt diese Besessenheit, gerade über diese Themen zu singen? Dixgård: Das geht wohl zurück auf die Ursprünge der Musik. Eigentlich kann ich da aber nur für Gustaf (Norén) und mich sprechen, wir sind nämlich sehr romantisch veranlagt. Überall, wo wir hingehen, suchen wir die Romantik. Wir lieben die Euphorie, wir lieben Sex, wir lieben die Liebe. Das sind Themen, über die man so viel schreiben kann und die nie ein Ende finden, da sie sowohl positive als auch negative Gefühle beinhalten. Unsere Melodien waren daher schon immer melancholisch. Diese Melancholie ist wahrscheinlich der einzige rote Faden in unseren Liedern.
Woher kommt diese Melancholie? Eure neuen Lieder handeln viel von Eifersucht, Verzweiflung und unerfüllter Liebe. Und das, obwohl ihr beide verheiratet seid und Familien habt. Dixgård: Verheiratet zu sein und Kinder zu haben ist nicht mit purem Glück gleichzusetzen. Man fühlt sich nicht automatisch voll und ganz erfüllt als Person. Verstehen Sie mich nicht falsch: es ist wundervoll! Kinder sind wahrscheinlich das, was uns der perfekten und ewigen Liebe am nächsten bringt. Wir singen in diesen Liedern auch nicht unbedingt nur über unsere eigenen Erfahrungen, sondern auch über die von Freunden und Bekannten. Ehrlich gesagt fühlen wir uns selbst auch nicht als große Texter oder Lyriker, dafür vermischen wir wahrscheinlich zu viel.
Anfangs hast du erwähnt, dass Melancholie typisch für Schweden ist. Kreativität und guter Geschmack reihen sich ebenfalls in den schwedischen Stereotyp ein. Dixgård: (lacht) Ich weiß nicht, ob das so stimmt. Unsere Volksmusik ist in der Tat melancholisch, sogar ABBA waren es! Ich denke, wir werden einfach damit geboren.
Mit gutem Geschmack und Melancholie? Dixgård: Mit Letzterem: auf jeden Fall. Ob wir wirklich guten Geschmack haben? Das weiß ich wirklich nicht!
Übersetzung aus dem Englischen.