Der heutige Feminismus ist beliebter denn je, er versucht, niemanden auszuschließen. Doch gilt das auch für die schöne Feministin?
Erschienen am 02. Januar 2022 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Fünf Jahre ist es her, da forderte das Model Emily Ratajkowski, junge Frauen sollten sich so kleiden, wie sie wollen, ohne Angst zu haben, dafür bloßgestellt zu werden. Sie richtete ihren Text an alle Frauen, meinte aber ganz bestimmte: Schöne Frauen, wie sie eine ist, Frauen, die sich gerne sexy kleiden. „Baby Woman“ hieß dieser Essay, und das war auch der Dreh ihres Arguments: So hatte ihr Vater sie früher genannt, denn Emily hatte schon mit zwölf Jahren die Körperformen bekommen, die sie später zu einem der erfolgreichsten Models der Welt machen würden. Und sich „sexy“ gekleidet.
Als dieser Text erschien, versuchte der Popfeminismus, die Belange von Frauen sexy zu machen. Was zuvor von Bürgerrechtlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen eingefordert worden war, wurde jetzt von Musikerinnen und Models populär gemacht. Ein T-Shirt von Dior steht bereits heute sinnbildlich für diesen Feminismus: Für 600 Euro konnte man ein Zitat der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie auf der Brust tragen: „We should all be feminists.“ Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani fasste es so zusammen: „Heute wird einem eine andere Feministin verkauft: Sie ist sexy, sie ist enthaart. Sie ist ehrgeizig, und sie ist mächtig.“ Das fanden manche zwar nicht ganz so unterstützenswert. Aber wenn es darum geht, die Welt gerechter zu gestalten, heiligt der Zweck da nicht die Mittel?
Feminismus und Feminität – endlich vereint?
Durch Frauen wie Emily Ratajkowski schienen nun zumindest Femininität und Feminismus für eine breite Öffentlichkeit endlich nachvollziehbar zueinander gefunden zu haben. Zu den Abziehbildern der burschikosen Frauenrechtlerin und der androgynen Postfeministin kam nun das feministische Model: mit Millionen von Followern, mit Reichweite, mit einer Stimme, die sie auch auf der Straße erhob – ein neues Muster im Kaleidoskop feministischer Geschichte. Und so durfte Emily Ratajkowski noch weitere Essays in Magazinen wie „Harper’s Bazaar“ veröffentlichen, die in etwa immer sagten: Frauen sollen sich weder für ihre Sexualität und Lust noch für ihren Körper schämen. Auch nicht diejenigen, die schön sind oder nackt – also schöner und nackter als andere.
Ihre Texte lasen sich dabei oft nur oberflächlich als Bekundung von Solidarität mit anderen Frauen. In ihrer sich wiederholenden Aussage schienen sie vielmehr etwas rechtfertigen zu wollen. Oder positiver ausgedrückt: Sie schienen den Wunsch zu äußern, dass man sie ernst nehme. Ja, sie sei schön und sexy, aber auch belesen und könne schreiben (dass ihre Mutter Literaturprofessorin und ihr Vater Maler ist, wird von den Magazinen dabei gern betont).
Am Beispiel „Emrata“ (so nennt sich das Model auf Instagram) zeigt sich: Das mit den schönen Frauen und dem Feminismus ist vertrackt. Von all den Identitäten, denen der gegenwärtige Feminismus gerecht zu werden sucht, ist die der schönen Frau eine, mit der er sich immer wieder neu auseinandersetzen muss. Denn sie ist sichtbarer als andere, erscheint dadurch privilegierter; ihr werden Räume eröffnet, die anderen verschlossen bleiben. Schön zu sein, das hieß früher folgt, ausreichend attraktiv und unnahbar zu sein, um damit (durch geschickte Heirat) Status erlangen zu können. Schön zu sein, das heißt heute, auch selbstbewusst und sexy zu sein und (durch Millionengagen für Werbedeals) seinen Status aus eigener Kraft verbessern zu können. Heute verspricht einem Schönsein, ohne Heirat über viel Geld verfügen zu können. Und das macht einen selbstbestimmter, oder?
Eine Gleichung, die nicht aufgeht
Inzwischen, im Jahr 2021, sieht Emily Ratajkowski das etwas anders. „Was ich da schrieb und predigte, spiegelte das wider, woran ich damals glaubte. Nun aber weiß ich, dass sich die Dinge komplexer darstellen“, schreibt sie in ihrem ersten Essayband „My Body“, der im Februar auf Deutsch erscheint. „Ich kann nicht bestreiten, dass ich auf viele Arten Kapital aus meiner Sexualität geschlagen habe.“ Von ihrer bisher aufgestellten Gleichung – Frau, die sexuell selbstbewusst ist, gleich Frau, die machtvoll ist, gleich Frau, die bedrohlich wirkt, gleich Frau, die bloßgestellt wird – profitierte sie zwar, als Model und als Aktivistin. Die Gleichung geht aber nicht ganz auf. Denn Ratajkowski hatte bisher ausgeklammert, wie und mit wem sie um Macht kämpft – auch und besonders über ihren eigenen Körper und dessen Repräsentationen, vor allem bildpolitisch.
In „My Body“ beschreibt sie jetzt im Essay „Buying Myself Back“, was es bedeutet, wenn Männer versuchen, ihr die Rechte über ihren Körper zu entreißen, den sie so erfolgreich als „Werkzeug im kapitalistischen System“ eingesetzt hat. Da ist der Paparazzo, der sie verklagt, weil sie ein Bild (das er von ihr ohne Zustimmung gemacht hat) auf ihrem Instagram-Profil hochgeladen hat. Oder der berühmte Künstler, der eines ihrer Instagram-Fotos abmalt und für einen sechsstelligen Betrag an sie verkauft – worauf sie aber ein Foto von sich vor diesem Bild schießen lässt und die Rechte daran als NFT für eine ähnlich hohe Summe wieder veräußert.
In „Men Like You“ erzählt sie, wie ein Fotograf, der ihr gegenüber körperlich übergriffig war, einen teuren Bildband mit Nacktpolaroids von ihr vertreibt – den sie nie genehmigt hat. Selbst wenn sie vor Gericht gewinne, werde ihr geraten, sie solle es auf sich beruhen lassen: „Die Bilder sind ohnehin schon überall zu sehen.“ Sie folgt dem Rat. Man fragt sich, wie an einigen Stellen in „My Body“, die von ihrem Nachgeben handeln, warum. Ihre Kampfeslust scheint gedämpft, die meist in Dialogen beschriebenen Szenen wirken fast sanft. Doch: Kann man es ihr verübeln?
Hat sich für die sexy-selbstbewusste Frau gar nicht so viel verändert?
Denn diese schmerzhaften Erkenntnisse schwingen mit: Sie wird auch im analogen Leben ständig auf ihre digital verbreitete „Sexyness“ reduziert, das Abbild ihres schönen Körpers mit ihrer Person gleichgesetzt, und denjenigen, die ihn betrachten, ist egal, ob sie damit einverstanden ist; oder gar, ob sie davon profitiert. Ihr Mantra, dass sie nur nach ihren eigenen Regeln zum Objekt werde, wirkt eben nicht: Rechte, Würde, Anteile, das alles wird ihr entzogen.
Hat sich also für die sexy-selbstbewusste Frau gar nicht so viel verändert, wenn es um Machtverhältnisse geht? Gibt es immer noch einen Fotografen, der am Ende entscheidet sogar über eine Influencerin wie Emily Ratajkowski? Wie hängen hier Schönheit, Erotik und Selbstermächtigung zusammen? Die Soziologinnen Eva Illouz und Dana Kaplan schreiben in ihrem Essay „Was ist sexuelles Kapital?“ (Suhrkamp, 125 Seiten, 22 Euro), dass Sex längst zum „zentralen Schauplatz der Kultivierung von Selbstwert, Resilienz und Eignung“ geworden sei. Zwar war ein begehrenswerter Körper stets ein Mittel, Wert zu schaffen: durch versprochene Jungfräulichkeit, den Tausch sexueller Handlungen gegen einen Mehrwert oder eben durch die Möglichkeit, erotisches Kapital aus Bildern zu schöpfen.
Sex sei ein „persönliches Attribut“, ein Teil der Identität, eine Eigenschaft. Wer am meisten begehrt wird, sei also im übertragenen Sinne am reichsten. Und wer sexuell erfolgreich ist, werde es auch beruflich. Das gilt natürlich nicht für alle, sondern vor allem für eine kreative Mittelklasse, Töchter von Malerinnen und Lehrern zum Beispiel. Mit ihrer Rede von diesem „neoliberalen sexuellen Kapital“ stellen Illouz und Kaplan dann aber wieder eine Gleichung auf: Frau, die sexuell-selbstbewusst ist, gleich Frau, die sich selbst als wertig empfindet, gleich Frau, die erfolgreich ist. Vom Bikinimodel zur Bestsellerautorin sozusagen. Was aber bedeutet das? Heißt es im Umkehrschluss, dass Frauen „schön sein“ müssen – im Sinne von „sich sexy finden“, um selbstsicher zu sein? Ging es nicht einmal darum, sich vom Begehren nach dem Begehrtwerden zu lösen?
Vom männlichen wie vom weiblichen Teil der Menschheit verstoßen
Fünfzig Jahre ist es her, da erschien Alix Kates Shulmans autobiografischer Roman „Erfahrungen eines schönen Mädchens“, erst im Sommer 2021 wurde er in deutscher Übersetzung veröffentlicht (Arche, 352 Seiten, 22 Euro). „Memoirs of an Ex-Prom-Queen“ war ein Bestseller feministischer Literatur, auch weil es damals ein Tabu war, als Frau so über Sex und Lust zu schreiben. Wie aktuell das Buch ist und wie viele fiktive Szenen den szenischen Essays Ratajkowskis gleichen, ist bestürzend. Auch Sasha, so heißt Shulmans Heldin, ist ausgesprochen schön, intelligent und voller Tatendrang. Sie begehrt und wird begehrt und ist so selbstbewusst, dass sie sogar eine Vergewaltigungsszene, die am Beginn des Romans steht, als komisch darstellen kann.
Als attraktive Frau aus der amerikanischen weißen Mittelklasse sucht sie die Selbstbestimmung: Sie studiert Philosophie (liest den Kanon männlicher Autoren), sie arbeitet, soweit es ihr möglich ist (ohne Karriereaussicht), sie heiratet (zweimal, weil sie es so will), hat Affären, bekommt Kinder – nichts davon ermöglicht es ihr, autonom zu leben. Schon als Schülerin sinniert sie darüber, was ihr Leben bisher ausmacht und wie es künftig verlaufen könnte: „Die Leute behaupten, es sei schlimmer, hässlich zu sein, aber ich glaube, es ist bloß anders. Sie machen dich zur Zielscheibe, ganz egal, ob du schön bist oder gewöhnlich aussiehst, nur auf eine andere Art. Bist du schön, kannst du dir die Männer vielleicht aussuchen, doch die Schönheit macht dich auch zur Getriebenen.“ Schöne Mädchen würden vom männlichen wie vom weiblichen Teil der Menschheit verstoßen.
Was aber denkt Shulman heute darüber? Wie nimmt sie die schönen Feministinnen wahr? Hat die sexuelle Befreiung verwirklicht, wofür sie sich damals eingesetzt hat? Sie ist in ihrer New Yorker Wohnung, als wir telefonieren. „In den Sechzigern haben wir dafür gekämpft, dass Frauen beim Sex selbstbestimmt sein konnten, die Ehe gleichberechtigt ist und nicht der Mann alles dominiert. Wir haben die Themen Vergewaltigung und häusliche Gewalt in den öffentlichen Diskurs eingebracht, darum ging es uns.“
Warum sie ausgerechnet eine dezidiert schöne Frau wählte, um eine Geschichte aus feministischem Blickwinkel zu erzählen? Dafür habe sie zwei Gründe gehabt: Die Idee für den Roman sei ihr beim ersten nationalen Protest des Women’s Liberation Movement gekommen: Das war 1960, man demonstrierte gegen die Miss-America-Wahl. Diese Wahl, sagt sie, war das Sinnbild dafür, nach welchen Kriterien Frauen maßgeblich unterdrückt werden konnten. „In dieser Zeit bestand die einzige Möglichkeit, sich in der Welt durchzusetzen und geschätzt zu werden, darin, einen Mann abzubekommen.“ Dafür sei Schönsein zwar essenziell gewesen, „mit dem Roman wollte ich aber der Vorstellung entgegentreten, dass Schönsein automatisch Privilegien mit sich bringe, welche eine schöne Frau von Unterdrückungen befreit.“
Den Satz könnte man genau so in eine Rezension über „My Body“ schreiben. Was die Bücher gemein haben, ist nicht nur, dass sie zeigen: Frauen, die ihre eigene Schönheit schätzen, sind eben immer noch von Gatekeepern, seien es Ehe- oder Geschäftsmänner, abhängig. Dieses immer noch herrschende Missverhältnis wird auch am Ende des Essays von Illouz und Kaplan deutlich, die vorschlagen, Männer könnten ja ebenso ihr neoliberales, sexuelles Kapital ausschöpfen. Darüber hinaus sind „My Body“ und „Erfahrungen eines schönen Mädchens“ aber auch subtile Anklagen: Angeklagt wird die schöne Frau, die sich selbst vorwerfen muss, aufgrund ihrer Schönheit davon ausgegangen zu sein, mehr Macht über Männer zu haben als andere Frauen. Angeklagt werden zugleich diese anderen Frauen, die ihr Privilegiertheit unterstellen und sie unsolidarisch ihrem Schicksal überlassen, was dann von Männern gesteuert wird. Das mag reich und einsam machen, aber sicher nicht selbstbestimmt.
Alix Kates Shulman zu interviewen ist nicht ganz einfach, weil sie jede Antwort mit einer Rückfrage beendet. Sie sei immerhin 89 Jahre alt, lieber sollten ihr junge Menschen erzählen, wie die Welt nun aussieht. „Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich darauf vertraue, dass Sie, oder sollte ich sagen, Sie und Ihre Generation, erkennen, was geändert werden muss. Also sagen Sie mir: Was finden Sie am problematischsten?“
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