„Politisch korrekt“, das sagt sich so leicht, als ob es eine oberste Instanz gäbe, die zum Gebrauch bestimmter Wörter anhält und andere verbietet. In Wirklichkeit stecken in den
Selbstbezeichnungen diskriminierter Gruppen komplexe Begriffsgeschichten. Sie verraten
viel über Verletzungen, Macht und unaufgelöste Widersprüche, die dem besinnungslosen Reden entgehen. Und sie sperren sich oft dagegen, in schöne und anschauliche deutsche Sätze integriert zu werden. Was die Sache nicht einfacher macht.
Erschienen am 26. Juli 2020 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Seit etwas mehr als zehn Jahren spaltet das Sternchen Meinungen wie Substantive: Die einen schmücken ihre Wörter damit, um zu zeigen, dass sie eine Binarität von Frau und Mann nicht für absolut halten. Die anderen erkennen darin eine ideologische Supernova, die dogmatisch Wörter zerreißt. Die einen wollen, dass Sprache inklusiver wird; die anderen finden, Sprache muss vor allem auch schön sein.
Der Genderstern war dabei als Evolution des Binnen-Is und Gender Gaps gedacht: Ersteres galt als elegante sprachliche Lösung von Feministinnen, die ein Klammern der femininen Form sahen. Das Weibliche ist nur Zusatz, eine Abwandlung des Männlichen. Das Binnen-I hingegen kam und kommt einem generischen Femininum gleich. Männer dürfen sich mitgemeint fühlen. Und nonbinäre oder intersexuelle Menschen auch?
Zwar ist das Binnen-I eine vergleichsweise elegante Form des Genderns, aber vielleicht ist die gar nicht erstrebenswert: Zum einen wird dadurch männlicher Sprachgebrauch fortgeführt (und ist in diesem Sinne doch postfeministisch, weil es sich der gleichen Methode bedient).
Zum anderen ist ein Stolpern im Wort zumindest insoweit sinnvoll, als dass es dazu anhält, ständig zu reflektieren, was und wer hier denn nun genau gemeint ist. Das Binnen-I schubst also um und kreiert eine echte Lücke, das Gender Gap. Mehr Raum zum Interpretieren, ja, aber im Text geht die Lücke oft unter. Und die Kluft zwischen Frau und Mann scheint wieder größer denn je.
Ob aber auch dieser kleine Stern den Anspruch erfüllt, Sprache inklusiver zu machen, oder ob er wirklich alles so verunstaltet, wie die anderen meinen, ist fraglich: Denn dass man bei Spotify nun nach „Künstler*innen“ suchen kann, ist anders zu bewerten, als wenn ein wissenschaftlicher Artikel von „Proband*innen“ spricht. Auf der Musik-App lassen sich sicherlich nicht nur Künstler finden, sondern auch viele weibliche und auch queere Musikschaffende. In der Wissenschaft wäre es aber gegebenenfalls wichtig zu wissen, welches Geschlecht die Person hat oder mit welchem sie sich identifiziert. Ebenso in literarischen Texten. Und in journalistischen. Das Sternchen kann also beides: erweitern und verkürzen.
Und denkt man diesen Umstand zu Ende – also dass es diesen kleinen Stern und seine Nachfolger:innen überhaupt gibt – dann könnte es gut sein, dass er irgendwann wieder verschwindet. Und zwar dann, wenn Wörter entstanden sind, die wirklich mehr abbilden können. caod