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Serien "Good Omens", "Lucifer", "Sabrina": Die Unordnung der Dinge

Neue Serien erzählen vom Kampf zwischen Himmel und Hölle. Selbst Satanisten ärgert das.


Erschienen am 7. Juli 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung



Der Teufel ist ein charismatischer Gentleman, der nicht länger den Bösen spielen will. Ein Engel und ein Dämon machen Tauschgeschäfte und treffen sich dafür am liebsten zum Lunch auf der Erde. Eine junge Hexe entdeckt ihre dunkle Macht und nutzt sie, um gegen den Teufel zu rebellieren: Gleich mehrere neue Serien bedienen sich derzeit biblischer Motive – und bringen damit Gläubige gegen sich auf, die Blasphemie wittern und die Absetzung der Serien fordern. Oft wiederholt sich da ein Ritual, weil die neuen Produktionen auf Comics und Romane zurückgehen, denen bei ihrem Erscheinen das Gleiche vorgeworfen wurde wie den Serien jetzt: dass sie das Böse zu freundlich darstellen. Und das Gute zu korrupt. Himmel und Hölle, Gut gegen Böse, Weltuntergang: Warum tragen diese zeitlosen Stoffe neuerdings wieder so viele erfolgreiche Serien?


„Besser in der Hölle regieren, als im Himmel dienen“, hat John Milton 1667 in seinem Epos „Paradise Lost“ gedichtet. Den amerikanischen Fantasy-Autor Neil Gaiman hat das angeregt, sich zu fragen, was der Teufel wohl täte, wenn er nicht die Hölle regieren müsste? Und so stellte sich Gaiman in seinen „Sandman“-Comics vor, dass der Teufel nach Los Angeles kommt und eine Pianobar namens „Lux“ eröffnet. Nach seinem Ebenbild David Bowie geformt, lehnt sich dieser Lucifer Morningstar (in einem Spin-off von Mike Carey) dann gegen seine Rolle als Herrscher über das Böse auf. Eine Rolle, die ihm zu Unrecht zugewiesen wurde, wie er findet – nur weil er einmal rebelliert hat! Als Krimi-Serie „Lucifer“ wurde der Comic zuerst vom amerikanischen Sender Fox und jetzt von Netflix adaptiert.


Das Prinzip ist konventionell: Eine ehrgeizige, verklemmte Polizistin löst Mordfälle mit Hilfe eines so gewitzten wie charmanten Beraters. Dass es sich dabei um den Teufel handelt, der ja eigentlich für Morde verantwortlich sein sollte, statt sie zu lösen, missfiel der American Family Association (AFA) so sehr, dass sie zu einer Petition aufrief: 11 000 Menschen forderten die Absetzung der Serie. Weil sie sich über die Bibel lustig mache und den Teufel falsch darstellen würde. Gaiman reagiert darauf nur mit einem trockenen Tweet: Die AFA habe das schon beim Erscheinen der Comics 1991 versucht und schon damals erfolglos. Lucifer als gutaussehender, reicher Mann (besonders unterhaltsam vom Briten Tom Ellis gespielt): Auch das ist eine gängige Vorstellung. Dass er aber bei einer Psychologin (Rachael Harris) Hilfe sucht, um seinen Vaterkomplex zu überwinden, und dass er dann auch noch gelangweilt ist von den Klischees seiner übermächtigen (männlichen) Figur, erinnert stark an die Rolle des Judas im Musical „Jesus Christ Superstar“: Auch der klagte Gott an, warum er den Bösen spielen müsse.


In der Serie wird Lucifer als pansexueller Hedonist dargestellt. Und auch wenn für diese Rolle extra jemand gefunden wurde, der nicht die Androgynität David Bowies besitzt: Dieser Teufel als selbstironischer Bohemien wirkt ebenso zeitgemäß wie in der popkulturellen Ironisierung von Männlichkeitsidealen, die die Comics in den Achtzigern betrieben. Himmel gegen Hölle: Auch in einer weiteren neuen Serie hatte Gaiman seine Hände im Spiel: „Good Omens“. So hieß der Roman aus dem Jahr 1990, den Gaiman gemeinsam mit Terry Pratchett geschrieben hatte – und den Amazon und BBC nun in einer Koproduktion dramatisiert haben: Der Dämon Crowley (David Tennant) und der Engel Erziraphael (Michael Sheen) haben sich über die Jahrtausende angefreundet, um sich die Arbeit etwas zu erleichtern. Weshalb Erziraphael auch mal Böses verbricht und Crowley auch mal Wunder vollführt.


Beide wissen um die weltlichen Schwächen des anderen – Erziraphael liebt gutes Essen und Bücher, Crowley schöne Oldtimer und Musik –, und ihnen ist auch klar, dass ihre Freundschaft lieber geheim bleiben sollte, da die Ordnung der Dinge sonst ins Wanken gerät. Da nun aber, wie von der Hexe Agnes Nutter prophezeit, der Antichrist geboren wurde, steht der Untergang der Erde unmittelbar bevor. Und verkompliziert die Beziehung von Dämon und Engel. Las sich der Roman schon wie ein Gegenwartskommentar, verstärkt die Serie das noch: Der elfjährige Antichrist liest Verschwörungstheorien, „es ist gedruckt, deshalb muss es wahr sein“, und weil er der Antichrist ist, werden sie dann auch wahr. Der dritte apokalyptische Reiter heißt nicht mehr Pest, sondern „Pollution“ (also Verschmutzung).


Der „Hunger“ hatte schon vor dreißig Jahren leichtes Spiel (Diätentrends!), heute versucht er, in Fastfoodketten möglichst wenig Natürliches unter die Leute zu bringen. Auch Ozonloch, Umweltverschmutzung und Kalter Krieg mussten für die Adaption gar nicht groß verändert werden. Dass Gott tatsächlich von einer Frau (und zwar Frances McDormand) gesprochen wird, rief wiederum die Gruppe Return to Order auf den Plan. Auch sie forderte die Absetzung der Amazon-BBC-Serie, richtete ihre Petition jedoch an Netflix. „Bitte sagt es ihnen nicht“, twitterte Gaiman daraufhin.


Die Serie „Chilling Adventures of Sabrina“ wiederum geht auch auf einen Comic zurück, wandelte seit 1971 durch die Formate und lief schließlich voriges Jahr zu Halloween auf Netflix an. Sie scheut den Horror nicht: Sabrina (Kiernan Shipka), halb Mensch, halb Hexe, muss sich zu ihrem sechzehnten Geburtstag entscheiden, ob sie den Pfad der Dunkelheit oder des Lichts wählt, und damit, ob sie ihre Kräfte behält oder nicht. Sie entscheidet sich für das Licht. In der ersten Staffel muss sie sich den mittelalterlich-patriarchalen Sitten des Hexenzirkels „Kirche der Nacht“ stellen: Hohepriester können nur Männer werden, dem Dunklen Herrscher (Luke Cook) und seinem Vertreter auf Erden, dem Antipapst (Ray Wise), muss um jeden Preis gehuldigt werden: gern auch als Märtyrerin. Dass sich „Sabrina“ dabei an der Ikonografie einer satanischen Sekte orientierte, missfiel dieser, sie verklagte Netflix, ohne Erfolg. Es ärgern sich also nicht nur Bibeltreue, sondern auch Fans des Teufels über diese neuen Serien.


Wo sich Lucifer fragt, ob er böse sein muss, fragt sich Sabrina, ob sie sich opfern muss – um vollwertiger Teil des Hexenzirkels zu sein. Die Kritik hat „Chilling Adventures of Sabrina“ gelobt, aber auch den teils recht platten Feminismus der Serie bemängelt: der Retrolook der sechziger Jahre, in denen Sabrina unterwegs ist, ordnet sie offensichtlich als Feministin der zweiten Welle ein, die sich lautstark gegen das unfaire System ihrer Kirche auflehnt – und genauso gegen devote Hexen und machtbesessene Hexer vorgeht. Was sie umtreibt und antreibt, dafür lässt „Sabrina“ nicht viel Platz, was man sich gerade bei einer Serie, die sich an Jugendliche richtet, aber gewünscht hätte. Dass Produktionsfirmen angesichts eines mit Serien überschwemmten Marktes auf Comics zurückgreifen, wundert nicht: Sie sind nicht nur visuell reizvoll, sondern von vornherein seriell erzählt. Die Comics selbst sprühen vor popkulturellen und politischen Referenzen, weswegen es sich anbietet, sie als Serie zu ironisieren – und ästhetisch und politisch auf den neuesten Stand zu bringen.


Der biblische, uralte Kampf zwischen Gut und Böse wiederum, den „Lucifer“, „Good Omens“ und „Sabrina“ austragen, hat schließlich in einer säkularisierten Welt nicht an Dringlichkeit verloren (und in einer polarisierten Welt, in der Ambivalenz verdächtig wirkt, erst recht nicht). Das zeigt sich vor allem, wenn die Vorzeichen umgedreht sind: Die Theodizee, also die Frage nach der Rechtfertigung des Bösen in der Welt Gottes, stellen in diesen Serien nicht die Gläubigen, die an Gott zweifeln, sondern jene überirdischen Figuren, die ja eigentlich erfunden wurden, um die Theodizee zu beantworten. Das moralische Dilemma eines gefallenen Engels, eines korrupten Engels, eines hedonistischen Dämons oder einer rebellierenden Hexe, die sich nach ihrer Zeit auf der Erde weigern, Aufgaben zu erfüllen, für die sie erschaffen wurden, um die Welt einfacher, aber trotzdem nicht besser zu machen: Es wirkt alles allzu menschlich. Sie klinken sich aus.


Doch so einfach ist es am Ende dann doch nicht. In diesem Jahr spannen nämlich alle drei Serien den gleichen erzählerischen Bogen: Die Zerstörung der Welt muss aufgehalten werden. Das geschieht mal seichter in „Lucifer“: Eine Prophezeiung hat vorausgesagt, die Hölle werde auf Erden regieren, wenn er die Liebe findet. In „Good Omens“ steht die letzte Schlacht zwischen Himmels- und Höllenarmee bevor, denen Erziraphael und Crowley selbst angehören. Sabrina schließlich wird vorausgesagt, dass sie selbst der Herold der Hölle sein wird und als Kindsbraut an der Seite des Teufels über die Erde regieren soll.


Auf die Wandlungen der Hauptfiguren zwischen Gut und Böse haben alle drei Serien die naheliegende Antwort gefunden, es sei „eben menschlich, beides zu sein“. Im Angesicht der Apokalypse sind diese Figuren aber aufgefordert, sich über die binäre Ordnung der Mächte zu erheben – oder im Kampf für das größere Ganze Stellung zu beziehen. Jede der Serien findet darauf ihre eigene Antwort. Keine davon sieht bislang vor, dass sich die Figuren im Dazwischen wirklich frei bewegen und handeln können. Aber genauso wenig, dass die Welt dauerhaft gerettet sei.

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